Mehr als 300 Kliniken angefragt So kritisch ist die medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen

Eine bundesweite Recherche zeigt erstmals umfassend, welche öffentlichen Kliniken in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Die Lage ist schlechter als gedacht - auch in Bonn und der Region.

Eine bundesweite Recherche zeigt, wie schlecht die medizinische Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche ist. (Symbolfoto)

Foto: picture alliance / dpa/Jens Schierenbeck

Triggerwarnung: In diesem Artikel wird das Thema Schwangerschaftsabbrüche behandelt, das bei betroffenen Menschen Trauma-Reaktionen auslösen könnte. Bitte bedenken Sie das, bevor Sie diesen Artikel lesen. Es kann hilfreich sein, den Artikel nicht zu lesen, während man alleine ist.

Das Tabu ist groß, die Lage kritisch: Frauen, die in Deutschland ungewollt schwanger werden und abtreiben wollen, brauchen viel Kraft – nicht nur aufgrund der oftmals schwierigen persönlichen Entscheidung, sondern auch weil der Weg dahin voller Hürden ist. Gesetzliche Vorschriften und eine schlechte Versorgungslage bei Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, erschweren die Situation zunehmend. Seit Jahren geht die Zahl der Kliniken und Praxen, die Abtreibungen anbieten, bundesweit stark zurück. Verzeichnete das Statistische Bundesamt im Jahr 2003 noch etwa 2050 Praxen und Kliniken, die den Eingriff durchführten, waren es Ende 2020 nur noch 1109. Das entspricht einem Rückgang um fast 50 Prozent.

Die Lage dürfte sich in den nächsten Jahren weiter verschlechtern, da viele Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, kurz vor der Rente stehen. Deutschland steuert somit auf einen Versorgungsengpass zu. Wie kritisch die Lage genau ist, ist bislang aber nirgendwo übergeordnet erfasst worden.

Einen ersten Schritt, um diesem Missstand entgegenzuwirken, ist jetzt das Journalismus-Netzwerk Correctiv.Lokal gegangen. An einer deutschlandweiten Recherche zum Thema Schwangerschaftsabbrüche hat sich in den vergangenen Monaten auch unsere Redaktion beteiligt. Das Ergebnis: Die medizinische Versorgung ist schlechter als angenommen.

Zusammen mit anderen Journalistinnen und Journalisten aus dem Netzwerk Correctiv.Lokal haben wir insgesamt 309 Krankenhäuser mit gynäkologischem Fachbereich in ganz Deutschland dazu befragt, ob sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Hierfür haben wir uns am Krankenhausverzeichnis des Statistischen Bundesamts von 2019 orientiert und durch weitere Recherchen Krankenhäuser ergänzt. Angefragt wurden ausschließlich Kliniken in öffentlicher Trägerschaft, da nur sie der Presse gegenüber auskunftspflichtig sind. Zudem haben Städte und Kommunen direkten Einfluss auf diese Kliniken - und die Sicherstellung der medizinischen Versorgung liegt in der Verantwortung der Bundesländer, also ebenfalls in öffentlicher Hand.

Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland - mehr als 300 öffentliche Kliniken angefragt

Für die Anfragen hat Correctiv.Lokal mit der Plattform FragDenStaat kooperiert. Von den 309 angefragten Kliniken im Datensatz haben 233 Krankenhäuser Auskunft gegeben. 68 Kliniken haben die Auskunft verweigert, obwohl die Anfrage sie erreicht hat. Bei acht Kliniken konnte nicht sichergestellt werden, dass sie die Anfrage erreicht hat. Die Ergebnisse dieser länderübergreifenden Recherche finden sich in einer durchsuchbaren Online-Datenbank, die nun veröffentlicht wurde. Erstmals kann die Öffentlichkeit nun für die öffentlichen Kliniken mit gynäkologischer Fachabteilung in Deutschland einsehen, unter welchen Voraussetzungen und teilweise mit welcher Methode diese Schwangerschaftsabbrüche anbieten.

Schwangerschaftsabbruch: Über diese Missstände berichten Betroffene
15 Bilder

Über diese Missstände bei Schwangerschaftsabbrüchen berichten Betroffene

15 Bilder
Foto: Correctiv.Lokal/Grafik: Sandra Liermann

Wie groß das Tabu um das Thema Schwangerschaftsabbrüche ist, belegen die Ergebnisse: Mehr als jede fünfte angefragte Klinik hat die Auskunft verweigert. Dabei sind öffentliche Kliniken wie Behörden auskunftspflichtig, theoretisch könnten die Antworten eingeklagt werden. Die Begründungen der Krankenhäuser reichen dabei von Überlastung durch die Pandemiebewältigung bis hin zu generellen Personalproblemen. Das ist grundsätzlich nachvollziehbar, jedoch bei einer Fristverlängerung von bis zu zwei Monaten bedenklich. Eine Klinik gab an, bei den angefragten Informationen handele es sich um ein „Geschäftsgeheimnis“ und die Preisgabe würde sie im „Wettbewerb“ mit christlich getragenen Krankenhäusern schlechter stellen.

Nur etwa die Hälfte (57 Prozent) der öffentlichen Kliniken mit gynäkologischer Station in Deutschland gab an, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. In der Regel führen diese Krankenhäuser die Leistung mindestens nach der medizinischen und kriminologischen Indikation durch (siehe Infokasten). Die medizinische Indikation macht allerdings weniger als vier Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland aus. Die kriminologische noch weniger.

Weniger als 40 Prozent der angefragten Krankenhäuser gaben an, Abtreibungen nach der Beratungsindikation durchzuführen. Dabei gingen im Jahr 2020 rund 96 Prozent der Abbrüche auf diese Indikation zurück. Das bedeutet: Die am häufigsten benötigte Indikation wird in öffentlichen Krankenhäusern am seltensten angeboten.

55 der angefragten Kliniken bieten gar keine Schwangerschaftsabbrüche an. Warum, lassen viele offen. Andere verweisen auf ambulante Praxen, die das Angebot aus ihrer Sicht ausreichend sicherstellen. Einige gaben auch an, die Leistung sei nicht gefragt - trotz 100.000 Schwangerschaftsabbrüchen, die jedes Jahr in Deutschland durchgeführt werden - oder führen die individuellen Entscheidungen der Ärztinnen und Ärzte als Grund an. Sie haben bei diesem Eingriff ein sogenanntes Weigerungsrecht. Das heißt, Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht dazu gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen – es sei denn, es besteht akute Lebensgefahr für die schwangere Person.

Andere öffentliche Krankenhäuser verwiesen auf ihre Verbindungen zur Kirche, beispielsweise eine gemeinsame oder frühere Trägerschaft und lehnen Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich ab. Es gibt aber auch Krankenhäuser, die angaben, wegen mangelnder fachlicher Expertise keine Abtreibungen außerhalb von Notfällen durchzuführen. Denn bis heute gehören Schwangerschaftsabbrüche nicht zu den Inhalten des Medizinstudiums.

Abtreibung in Bonn und der Region - so ist die Lage in den Kliniken

Wie ist die Lage in Bonn und der Region? Das Universitätsklinikum in Bonn gibt zwar an, Schwangerschaftsabbrüche nach allen drei Indikationen anzubieten, sei jedoch „nicht die primäre Anlaufstelle“ für Abbrüche nach der Beratungsindikation und verweist hierzu auf die in Bonn niedergelassenen Ärzte. Nach Angaben der Beratungsstelle ProFamilia gibt es in Bonn zwei Gynäkologen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. In der Uniklinik werden Abbrüche nur dann durchgeführt, „wenn es den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen aufgrund medizinischer Besonderheiten, wie hohes Narkoserisiko, Blutungsrisiko etc., nicht möglich ist“, heißt es in der Antwort des Klinikums. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Frauenklinik in Köln-Holweide. Zwar werden auch hier Abbrüche nach allen drei Indikationen angeboten, allerdings nur „wenn der Eingriff aus medizinischen Gründen nicht ambulant durchgeführt werden kann“. Das Kölner Uniklinikum bietet Schwangerschaftsabbrüche nur nach medizinischer oder kriminologischer Indikation an, das Klinikum der RWTH Aachen sowie das Kreiskrankenhaus Mechernich (Kreis Euskirchen) nur nach medizinischer Indikation. Das Kreiskrankenhaus Gummersbach (Oberbergischer Kreis) bietet keine Schwangerschaftsabbrüche an, das Krankenhaus Wermelskirchen (Rheinisch-Bergischer Kreis) hat die Auskunft verweigert.

Wir wollen wissen, was Sie denken: Der General-Anzeiger arbeitet dazu mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Wie die repräsentativen Umfragen funktionieren und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.