Parlament in Düsseldorf Sitten im NRW-Landtag verfallen seit Einzug der AfD immer mehr

Düsseldorf · Seit die AfD in das Landesparlament eingezogen ist, stieg die Zahl der Ordnungsrufe und Rügen auf ein Rekordniveau. Beschimpfungen und Kraftausdrücke sind keine Seltenheit mehr.

 Beschimpfungen und Kraftausdrücke sind im nordrhein-westfälischen Parlament keine Seltenheit mehr.

Beschimpfungen und Kraftausdrücke sind im nordrhein-westfälischen Parlament keine Seltenheit mehr.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Der Ton im Düsseldorfer Landtag wird immer rauer. In der laufenden Wahlperiode kassierten Abgeordnete binnen drei Jahren bis Ende Juni bereits 70 Rügen oder Ordnungsrufe, mehr als je zuvor. Allein 35 Rügen gingen der Landtagsverwaltung zufolge auf die kleinste Fraktion, die AfD, zurück: „Die Debatten schaukeln sich jetzt häufiger hoch: In der gesamten fünfjährigen Wahlperiode davor, ohne die AfD, kam es nur zu zwölf Rügen, und in der vorletzten waren es nur neun“, sagte NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) unserer Redaktion.

Die Zunahme der Eingriffe zeigt, dass sich die Debattenkultur im Landesparlament deutlich verändert hat. Eine Rüge erteilt das Landtagspräsidium, wenn ein Abgeordneter wegen „unparlamentarischen Verhaltens“ auffällt, also wegen eines Verstoßes gegen die parlamentarischen Sitten. Davon zu unterscheiden ist ein Ordnungsruf, der eine noch schärfere Sanktion darstellt und sogar justiziabel ist.

AfD erhält vier der insgesamt sechs Ordnungsrufe

Wie aus den Parlamentsprotokollen hervorgeht, erhielt die AfD-Fraktion vier der insgesamt sechs Ordnungsrufe in dieser Wahlperiode. Einer betraf die SPD und einer die FDP. In einer Debatte um den Hambacher Forst am 29. Mai 2020 etwa beleidigte der AfD-Abgeordnete Helmut Seifen den FDP-Politiker Ralph Bombis mit dem Zwischenruf: „Sie gehören wirklich in die Psychiatrie!“ Bombis wiederum provozierte den AfD-Abgeordneten Christian Loose mit der Frage: „Muss ich wirklich noch einmal ‚Ruhig, Brauner’ sagen?“ Tags zuvor hatte der SPD-Abgeordnete Stefan Zimkeit AfD-Fraktionschef Markus Wagner „Hetzer!“ zugerufen. Auch dafür gab es einen Ordnungsruf.

Regelmäßig beschimpfen sich Abgeordnete den Parlamentsprotokollen zufolge gegenseitig als „Heuchler“, „Lügner“ oder als „scheinheilig“ – was dann jeweils eine Rüge durch das Präsidium zur Folge hatte. Deutlich weiter ging der AfD-Abgeordnete Andreas Keith, der in Richtung der Oppositionsbänke von SPD und Grünen wies und sagte: „Mit den ganzen Leuten, die die Kinderschändereien, die bei Ihnen oder bei Ihnen laufen.“

Verbale Ausfälle auch von Landesministern

Vor verbalen Ausfällen sind aber auch Landesminister nicht gefeit. Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) zum Beispiel verstieg sich am 24. Januar 2019 zu der Äußerung: „Ich war was trinken, Du Vogel“ und meinte damit den SPD-Abgeordneten Jochen Ott aus Köln, der sich zuvor offenbar darüber beschwert hatte, dass der Minister den Saal verlassen hatte.

Landes-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) brachte es jüngst eine Rüge ein, dass er in einer Landtagsdebatte über die Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie sagte: „Verarschen kann ich mich selber“ – und damit frühere Aussagen von Schlachthofbetreibern anprangern wollte. Auch andere Kraft- und Fäkalausdrücke waren in der aktuellen Wahlperiode keine Seltenheit.

Landtagspräsident in Schiedsrichter-Rolle

„Die Verfassung mahnt uns, Respekt vor der Meinung anderer und vor der öffentlichen Ordnung zu zeigen. Mit dem Einzug der AfD-Fraktion in den Landtag ist diese Aufgabe schwieriger geworden“, kommentierte Kuper die Entwicklung. Als Landtagspräsident sehe er sich auch in einer Schiedsrichter-Rolle: „Meine Aufgabe ist es ja auch, dafür zu sorgen, dass die Würde der Abgeordneten gewahrt bleibt.“

Die schärfste Sanktion, den Ausschluss eines Abgeordneten aus einer Sitzung, musste Kuper in dieser Wahlperiode bisher nicht verhängen. Ausschlüsse von einer Sitzung sind zum Glück sehr selten. Das ist erst zweimal vorgekommen: 2008 und 2010.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Helge Matthiesen
zur Situation der AfD
Die Demokraten zeigen Zähne
Kommentar zur Situation der AfDDie Demokraten zeigen Zähne
Zum Thema
Aus dem Ressort