Es brodelt und bröckelt So ist die Situation nach der Wahl in Bayern

Berlin/München · Union und SPD wurden bei der Landtagswahl abgestraft – jetzt beginnt die Nachlese. Doch selbst die schärfsten Kritiker der Berliner großen Koalition sehen sich vor der Wahl in Hessen in zwei Wochen gezwungen, Disziplin zu wahren.

Es brodelt und bröckelt. Die historisch schwachen Wahlergebnisse für CSU und SPD in Bayern rütteln an den Grundfesten von Union und Sozialdemokraten im ganzen Land. Am Tag nach der Landtagswahl mit dem klaren CSU-Verlust der Alleinregierung und der Halbierung der SPD im Landtag wackelt auch das schwarz-rote Gebäude der Koalition im Bund. In den Spitzengremien von CDU und SPD in der Hauptstadt und der CSU in München ist die Stimmung geladen. Viele sind maßlos enttäuscht und wissen, dass sie die Quittung für das schwache Erscheinungsbild der Koalition im Bund und den Dauerstreit in der Union bekommen haben.

Dass es jetzt keine öffentlichen Wutausbrüche, Rücktrittsforderungen, Sonderparteitage gibt, hat einen Grund: Die Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober. Chance und Risiko, das Ruder noch herumzureißen – oder unterzugehen. Aufgehoben ist aber nicht aufgeschoben. In zwei Wochen, so heißt es in allen drei Parteien, werde es genau dazu kommen: zu Konsequenzen, worauf Union und SPD jetzt noch verzichten.

Der angeschlagene CSU-Chef Horst Seehofer braucht am Montag viele Sätze für seine Erklärung, wer jetzt in der Partei was wann analysieren wird. Zuhörer warten auf das eine Wort: Sonderparteitag. Aber Seehofer nennt den fünften von fünf Punkten der zuvor vom Vorstand beschlossenen To-do-Liste und sagt umständlich, es gebe den Wunsch zu einer tieferen Analyse des Wahlergebnisses. Diese solle nach der Wiederwahl von Markus Söder zum Ministerpräsidenten und der Kabinettsbildung folgen, entweder noch im November oder im Dezember, in einer „geordneten Form“, in einem „geeigneten Gremium“. Das würden jetzt die zehn CSU-Bezirksvorsitzenden klären. Das bedeutet: Der inzwischen unbeliebte Chef hat Zeit gewonnen, aber seinen Sturz noch nicht abgewendet.

Bouffier stocksauer auf Seehofer

In der CDU reißen sich jetzt die meisten am Riemen – dem hessischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Volker Bouffier zuliebe, dem sie im Sommer die Rettung der Unionsfraktionsgemeinschaft in dem von Seehofer angezettelten Streit um Flüchtlinge mit zu verdanken haben. Bouffier ist stocksauer auf Seehofer und würde gern wenigstens die verbleibenden zwei Wochen einen störungsfreien Wahlkampf führen.

Besonders heftig rumort es bei der SPD, wobei es die Sozialdemokraten mit eiserner Disziplin probieren. Generalsekretär Lars Klingbeil weist darauf hin, dass Thorsten Schäfer-Gümbel in Hessen eine gute Chance habe, gegen Bouffier zu gewinnen und nächster Ministerpräsident zu werden. Es dürfte indes schwierig sein, die in der SPD sehr heiß geführte Debatte um die große Koalition zwei Wochen lang einzufrieren. Da sind etwa die Äußerungen von Parteivize Ralf Stegner, der gleich am Montag einmal mehr die Koalition in Frage stellt: „Da muss sich etwas gravierend ändern, wenn diese Regierung Bestand haben soll.“ Und Juso-Chef Kevin Kühnert ruft die SPD auf, die große Koalition am Jahresende auf den Prüfstand zu stellen. Die Partei solle nach der Wahl in Hessen eine Liste mit Aufgaben beschließen, die von der großen Koalition bis Jahresende abgearbeitet werden müsse, so Kühnert zum „Spiegel“.

Zerknirschte Nahles

Parteichefin Andrea Nahles wirkt am Montag zerknirscht, niedergeschlagen, matt, als sie gemeinsam mit Natascha Kohnen vor die Kameras im Willy-Brandt-Haus tritt. Den sonst üblichen Blumenstrauß gibt es nicht. Nahles macht das Erscheinungsbild der „GroKo“ für das Debakel ihrer Partei in Bayern mitverantwortlich: „Das schlechte Bild der Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass wir nicht durchgedrungen sind mit unseren Themen.“ Justizministerin Katarina Barley ruft die Union dazu auf, Streitigkeiten beizulegen. „Diese Regierung leistet gute Arbeit“, so Barley. Sei es mit einem Gute-Kita-Gesetz, mehr Mieterrechten oder Verbesserungen bei der Rente. CDU und CSU hätten mit ihrem Streit leider viel von diesem Erfolg überdeckt. „Es ist an der Zeit, dass diese Zankereien ein Ende haben“, sagt Barley. Eine gründliche Analyse des Bayern-Ergebnisses planen die Genossen am 4. und 5. November.

Dass die Krise Folgen haben wird, ist auch den Abgeordneten im Bundestag klar. Am Abend treffen sich die SPD-Abgeordneten aus Niedersachsen und NRW. Es gehe bei dem Treffen nicht um die Planung einer Palastrevolution, sagt ein Insider. Auch wenn sich diese wohl immer mehr Genossen wünschen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
„Keine Experimente bei der Bildung“
Interview mit Professor Uwe Jun zur Landtagswahl in NRW „Keine Experimente bei der Bildung“
Aus dem Ressort