Pannengewehr zum G36 Soldaten sehen keine Probleme bei der Waffe

Berlin · Eigentlich war seit April dieses Jahres klar: Das Sturmgewehr G36 der Bundeswehr hat ein Präzisionsproblem. Sogar ein recht großes, wie der Abschlussbericht der Prüfung ergab. Am gestrigen Tag fing diese Klarheit aber wieder an zu bröckeln. Kein Soldat hat jemals im Kampf- oder Gefechtseinsatz eine Präzisionsabweichung des G36 festgestellt.

 Eine Untersuchung kann keine Präzisionsprobleme feststellen: Bundeswehrsoldaten bei der Schießausbildung.

Eine Untersuchung kann keine Präzisionsprobleme feststellen: Bundeswehrsoldaten bei der Schießausbildung.

Foto: dpa

Stattdessen wird das Gewehr als bedienungsfreundlich, störungsunanfällig und verlässlich beschrieben. Das geht aus dem Bericht der sogenannten Nachtwei-Königshaus-Kommission hervor, der gestern in Berlin vorgestellt wurde.

Der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei und der frühere Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus sind in ihrer Untersuchung der Frage nachgegangen, ob deutsche Soldaten durch die Präzisionsprobleme des Sturmgewehrs zu Schaden gekommen oder in Gefahr geraten sind. "Kein deutscher Soldat ist im Zusammenhang mit technischen Präzisionsmängeln des G36 gefallen oder verwundet worden.

Es ergaben sich auch keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdung von Soldaten", heißt es in dem Bericht. Die in den vorherigen Untersuchungen festgestellten Präzisionseinschränkungen wurden jedoch nicht in Zweifel gezogen. Demnach wurde unter anderem gemessen, dass das Gewehr bei einer Temperaturveränderung von 30 Grad nur noch eine Trefferwahrscheinlichkeit von 30 Prozent erreicht. "Die Soldaten haben uns erklärt, dass ein solches Testszenario mit einem so hohen Munitionsgebrauch nicht üblich ist", erklärte Nachtwei, nachdem er Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Kommissionsbericht übergeben hatte.

Aus Kreisen der Kommission wurde deutlich, dass von den mehr als 150 befragten Soldaten, die allesamt mehrfache Kampf- und Gefechtserfahrung besitzen, kein einziger jemals ein solches Worst-Case-Szenario wie bei der Untersuchung der Waffe erlebt hat.

War von der Leyen zu voreilig, dass G36 auszumustern?

Doch war die schnelle Reaktion der Ministerin, das G36 auszumustern und in Zukunft auf ein neues Sturmgewehr zu setzen, nach der Veröffentlichung der Untersuchung im April zu voreilig? "Wir werden den Bericht der Kommission jetzt analysieren und unsere Konsequenzen daraus ziehen", sagte von der Leyen. Ihr Ministerium verteidigte die Ausmusterung des G36 unter der Hand dagegen deutlich: "Die Ergebnisse der Untersuchung konnten wir nicht ignorieren. Das wäre unverantwortlich gewesen, da diese schwarz auf weiß und unbestritten vorlagen."

Angesichts ihrer Kenntnisse und vor dem Hintergrund der Selbstgefährdung sei die Dringlichkeit dieser Entscheidung aus Sicht der Kommission jedoch nicht gegeben. Gleichzeitig betonte man aber, dass es gerechtfertigt sei, dass dieses Sturmgewehr nach 20 Jahren Einsatzzeit aufgrund angestiegener Leistungsanforderungen keine Zukunft bei der Bundeswehr mehr habe.

Die Kritik am G36 können die Soldaten aber nicht nachvollziehen. "Die Einsatz- und Gefechtserfahrungen zeigen, dass der Titel 'Pannengewehr' für das G36 nicht richtig ist", sagte Königshaus. Auch die kurdischen Peschmerga, die mit 8000 deutschen Sturmgewehren ausgerüstet wurden, sind äußerst zufrieden.

Die Kommission untersuchte alle 38 Todesfälle von deutschen Soldaten in Afghanistan auf mögliche Ursachen durch das deutsche Gewehr. "Wir können klar und deutlich ausschließen, dass es einen Zusammenhang mit den Präzisionsproblemen und einem Todesfall gegeben hat", erklärte Nachtwei. Viele der gefallenen Soldaten seien bei der Feuereröffnung durch den Gegner, durch Sprengfallen oder eine Panzerfaust gestorben, ehe auch nur ein eigener Schuss abgegeben werden konnte.

Dass den Soldaten im Einsatz die Präzisionsprobleme nicht aufgefallen sind, kann auch an den gegebenen Umständen liegen. "Die Treffgenauigkeit eines Schützen im Einsatz hängt maßgeblich auch von der Schießfertigkeit, von seiner momentanen Verfassung, von Umweltbedingungen und Gegnerverhalten ab", heißt es in dem Bericht. Der Soldat sei kein Schraubstock, aber geübt darin, Präzisionsabweichungen auszugleichen. Bei Übungen, so heißt es im Bericht weiter, haben Soldaten sehr wohl Präzisionsmängel festgestellt.

Ministerium blickt bei Entscheidung über neue Waffe nach Frankreich

"Das Ergebnis der Kommission sei für die Truppe, die Familien und Vorgesetzten der gefallenen Soldaten eine Beruhigung", heißt es aus dem Ministerium. Bei der Entscheidung, welche Waffe auf das G36 folgen soll, will man jetzt nach Frankreich schauen. Auch die Nachbarn beschäftigen sich derzeit mit einer neuen Handwaffe und seien, so das Verteidigungsministerium in Berlin, schon ein paar Schritte weiter.

Man wolle Erfahrungen austauschen. Und auch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Waffenproduzenten Heckler & Koch geht weiter, es laufen noch gültige Wartungsverträge, außerdem hat das Unternehmen aus Oberndorf am Neckar angekündigt, sich an einer möglichen Ausschreibung für den G36-Nachfolger zu beteiligen.

Gleichzeitig hat das Verteidigungsministerium aber eine Mängelrüge und Minderungsansprüche gegenüber Heckler & Koch geltend gemacht. "Wir gehen beim G36 klar von einem Produktfehler aus", heißt es von Seiten des Ministeriums. Ein Gericht muss diesen Fall jetzt klären. Ein Ende der Affäre ist auch nach fünf Jahren nicht in Sicht.

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