SPD-Landesfraktionschef im Interview Kutschaty hält sozialliberale Koalition für denkbar

Düsseldorf · Den Jahreswechsel verbrachte der SPD-Landesfraktionschef Thomas Kuschaty mit seiner Familie nicht in den Bergen beim Skifahren, sondern an der Nordsee. Von dort bringt er überraschende Vorschläge mit. Er denkt laut über eine sozialliberale Koalition in NRW nach.

 „Gerade in der Bildungspolitik lässt sich an alte sozialliberale Zeiten anknüpfen“, sagt SPD-Landesfraktionschef Thomas Kutschaty.

„Gerade in der Bildungspolitik lässt sich an alte sozialliberale Zeiten anknüpfen“, sagt SPD-Landesfraktionschef Thomas Kutschaty.

Foto: dpa/Jens Büttner

Herr Kutschaty, die SPD in NRW hat seit der Landtagswahl weiter an Zustimmung verloren und steht Umfragen zufolge nur noch bei 20 Prozent. Was machen Sie falsch?

Thomas Kutschaty: Erst einmal ist doch festzuhalten, dass die CDU/FDP-Landesregierung nach zweieinhalb Jahren keine Mehrheit mehr hat – in keiner Umfrage. Aber richtig ist auch, dass wir als SPD noch nicht da sind, wo wir sein wollen: Stärkste Fraktion und 2022 wieder den Ministerpräsidenten stellen.

Warum können Sie von der Unzufriedenheit mancher Bürger mit der Landesregierung nicht profitieren?

Kutschaty: Die SPD kämpft auf Bundesebene mit schwierigen Situationen. Es ist immer schwer, sich vom Bundestrend abzukoppeln. Aber wir schneiden in NRW weiterhin deutlich besser in den Umfragen ab. Wir liegen fünf bis sechs Prozentpunkte über dem Bundeswert.

Mit diesen Ergebnissen ist die SPD von einer Mehrheit weit entfernt. Welche Optionen sehen Sie, in NRW überhaupt wieder in Regierungsverantwortung zu kommen?

 Thomas Kutschaty, Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, spricht im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Thomas Kutschaty, Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, spricht im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Kutschaty: In der heutigen Parteienlandschaft muss man schon schauen, mit wem man zusammenarbeiten kann. Das zeigen die Wahlen auch in anderen Bundesländern. Warum nicht auch über eine sozialliberale Renaissance nachdenken? Das könnte großes Potenzial entwickeln.

Eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition? Selbst Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, sagte noch diese Woche: „Klassische SPD-Wähler sind nicht in Gefahr, für eine neoliberale Lindner-Partei zu stimmen.“ Sie als bekennender Partei-Linker sehen das anders?

Kutschaty: Ich beobachte verschiedene Strömungen in der FDP. Inte­ressant ist, dass FDP-Chef Christian Lindner sich vor die Werkstore stellen will. Da kann er sich gern zu uns stellen. Ich weiß nur nicht, worüber er mit den Arbeitern reden will: über weniger Tarifverträge, mehr Leiharbeit oder niedrigere Unternehmenssteuern? Die Lindner-FDP kann in dieser Form sicher nicht unser Partner werden, aber mit den Liberalen in NRW sehe ich durchaus Gemeinsamkeiten.

Welche?

Kutschaty: Hier in NRW waren es die Liberalen Burkhard Hirsch und Gerhart Baum, die zusammen mit uns die CDU überzeugen konnten, das NRW-Polizeigesetz auf eine neue verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen. Der freiheitliche Gedanke, die Idee starker Individuen und Bürgerrechte ist in der FDP so weit verbreitet wie in der SPD. Dies schließt nicht aus, dass wir auch einen starken Staat haben müssen für die Schwachen. Die Widersprüche zwischen SPD und FDP sind also gar nicht so groß. Es gibt genügend Ansatzpunkte, wo eine sozialliberale Zusammenarbeit möglich wäre.

Die FDP in NRW steht aber etwa für eine Rückführung der Inklusion in Schulen…

Kutschaty: Gerade in der Bildungspolitik lässt sich an alte sozialliberale Zeiten anknüpfen: Schulministerin Gebauer will – wie ich lese – jetzt ja offenbar doch einen Sozialindex einführen, durch den Schulen in benachteiligten Vierteln mehr Ressourcen erhalten sollen. Das ist schon lange unsere Forderung. Wir werden genau schauen, wie er aussehen soll und ob er sich auch finanziell auswirkt. Klar ist, dass es nicht nur 60 Talentschulen geben kann. Jede Schule soll eine Talentschule sein. Gemeinsamkeiten kann es mit der FDP aber auch in der Integrationspolitik geben.

FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart treibt die Entfesselung der Wirtschaft voran. Teilen Sie diesen Ansatz auch?

Kutschaty: Die Entfesselung ist nur ein Zaubertrick, da ist doch gar nicht viel passiert. Es gibt auch mit Herrn Pinkwart Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel in der Frage, alte Kohlekraftwerke abzuschalten und dafür ein neues, nämlich Datteln IV, in Betrieb zu nehmen. Es gibt also durchaus Optionen, mit den Liberalen wieder gemeinsam eine Regierung bilden zu können. Außerdem: Für die FDP wird es mit der CDU allein in NRW nicht mehr reichen. Auch die FDP muss sich daher Gedanken machen, wie sie künftig auf Regierungsmehrheiten kommen will.

SPD und FDP zusammen kämen aber auch bei Weitem nicht auf die nötige Mehrheit...

Kutschaty: Das werden wir sehen. Das Ganze könnte mehr sein als die Summe seiner Einzelteile.

Wie wollen Sie im Landtag als schlagkräftiger Oppositionsführer auftreten, wenn Sie bereits mit der FDP als künftigem Koalitionspartner liebäugeln?

Kutschaty: Mal langsam. Es gibt weiterhin auch Unterschiede. Natürlich machen wir deutlich, dass wir mit dem Zurückdrehen der Inklusion in Schulen nicht einverstanden sind, um nur ein Beispiel zu nennen. Oder dass die Reform des Kinderbildungsgesetzes nicht gelungen ist. Aber es wäre falsch, sich jetzt unheilbare Verletzungen zuzufügen.

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