Vor Gipfel bei Steinmeier SPD treibt den Preis für die Koalition, Union unbeeindruckt

Berlin · Wie stark hat der Glyphosat-Zoff das Klima zwischen Union und SPD vergiftet? Beim Bundespräsidenten müssen die angeschlagenen Merkel, Schulz und Seehofer nun Farbe bekennen. Gilt für alle noch: Erst das Land, dann die Partei - oder kämpft jeder für das eigene Überleben?

Vor dem Spitzentreffen von Union und SPD bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier versuchen die Sozialdemokraten, den Preis für ihre mögliche Regierungsbeteiligung in die Höhe zu treiben.

Parteichef Martin Schulz bezeichnete den Alleingang von CSU-Agrarminister Christian Schmidt, der in Brüssel gegen den Willen der SPD für die weitere EU-Zulassung des umstrittenen Unkrautgifts Glyphosat gestimmt hatte , als skandalös und schwere Belastung. "Das hat zu einem massiven Vertrauensverlust innerhalb der geschäftsführenden Bundesregierung und zwischen den Parteien geführt", sagte Schulz.

Der rechte SPD-Flügel verlangte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), als "vertrauensbildende Maßnahme" den Weg für das von der Union blockierte gesetzliche Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit freizumachen.

Die CSU ließ die Sozialdemokraten jedoch abtropfen. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der Deutschen Presse-Agentur, seit neun Wochen erkläre die SPD täglich, unter keinen Umständen regieren zu wollen. "Da klingen die aktuellen Rufe nach vertrauensbildenden Maßnahmen sehr nach hoher Schauspielkunst."

Die CSU selbst ist vor den Gesprächen in Schloss Bellevue durch ihren ungelösten Machtkampf geschwächt. An diesem Montag will Ministerpräsident und Parteichef Horst Seehofer vor der CSU-Landtagsfraktion erklären, ob und wie es mit ihm weitergeht - und wer die Partei in die Landtagswahl 2018 führt. Landesfinanzminister Markus Söder sitzt Seehofer im Nacken. Bei der Bundestagswahl im September war die CSU auf 38,8 Prozent abgestürzt.

Am Donnerstagabend richten sich alle Blicke auf Schloss Bellevue. Dort empfängt Steinmeier die drei Parteivorsitzenden Merkel, Seehofer und Schulz. Das Staatsoberhaupt will nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen Neuwahlen vermeiden. Festlegungen werden in der Runde jedoch nicht erwartet.

Die SPD hatte nach ihrem Absturz auf 20,5 Prozent direkt nach der Wahl eine Neuauflage einer großen Koalition ausgeschlossen. Nun ist sie gesprächsbereit, will die eigene Basis aber nicht überrumpeln. Beim SPD-Parteitag in der nächsten Woche will Schulz sich als Vorsitzender bestätigen lassen und ein Verhandlungsmandat holen .

Hamburgs Bürgermeister und Schulz-Rivale Olaf Scholz geht davon aus, dass Schulz klar bestätigt wird: "Der Parteivorstand hat ihn einstimmig nominiert, und der Parteitag wird ihn mit einem überzeugenden Ergebnis wählen", sagte er dem "Stern" (Donnerstag).

Aus SPD-Kreisen hieß es, Sondierungen und mögliche Koalitionsverhandlungen würden voraussichtlich nicht vor März beendet sein können. Dann müssten noch die SPD-Mitglieder befragt werden, was etwa zwei Wochen dauern dürfte.

Schulz sagte, das Ergebnis der Spitzenrunde mit Steinmeier sei offen. Er könne "beim besten Willen nicht sagen, was das Ergebnis" ausfalle, sagte er beim Arbeitgebertag. Indirekt kritisierte der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Merkel: "Es reicht nicht, auf Sicht zu fahren."

Er legte Forderungen vor: Frauen sollten so viel verdienen wie Männer. Soziale Berufe wie Pflege oder Krankenversorgung müssten besser bezahlt werden. Das Verbot einer Kooperation des Bundes mit Ländern und Kommunen in der Bildung sollte abgeschafft werden. "Wir brauchen mehr denn je einen handlungsfähigen Staat", sagte Schulz.

Merkel versprach der Wirtschaft, an einem wachstumsfreundlichen Kurs festhalten zu wollen. Die Lohnzusatzkosten sollten unter der Marke von 40 Prozent gehalten werden, das ehrgeizige Ziel der Vollbeschäftigung sei erreichbar, sagte Merkel in einer beim Arbeitgebertag ausgestrahlten Video-Grußbotschaft. "Das wird mich auch in den kommenden Gesprächen mit der SPD leiten." Merkel ist derzeit auf Afrika-Reise.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer äußerte sich ähnlich: "Finger weg von neuen wachstums- und beschäftigungsschädlichen Gesetzen und Verordnungen."

Solche Appelle hindern die SPD nicht, der Union Forderungskataloge vor die Nase zu halten. Nach dem Glyphosat-Ärger sollte Merkel der SPD anbieten, das bereits in der abgelaufenen GroKo vereinbarte, aber nicht umgesetzte Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit rasch einzuführen. "Das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme in Richtung SPD. Das rettet die Sache nicht, aber das Klima", sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Gesetzentwurf der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) war im Frühjahr endgültig von Kanzleramt und der Union gestoppt worden. Besonders umstritten war, ab welcher Betriebsgröße Beschäftigte nach der Teilzeit auf eine frühere Vollzeitstelle zurückkehren könnten. Die Union wollte dies erst ab 200 Mitarbeitern ermöglichen, Nahles bereits ab einer Schwelle von 15 Mitarbeitern.

Eine von der Union angeführte Minderheitsregierung hält der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) für keine gute Lösung. Die Regierung könnte gegenüber den EU-Partnern nichts zusagen, weil sie sich ihrer Mehrheit im Bundestag nicht sicher sein könne. Dabei müsse Deutschlands Rolle jetzt sein, den EU-Reformprozess zu prägen.

Laschet lobte die Zwischenergebnisse der gescheiterten Jamaika-Sondierung. "Ich wäre froh, wenn wir in den nächsten Wochen in den Verhandlungen ein solches großartiges Ergebnis hinkriegen könnten", sagte er mit Blick auf die SPD.

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