Interview mit FDP-Chef in NRW Stamp zur Wahl in Thüringen: „Das alles war ein Riesenfehler“

Düsseldorf · Hat die FDP ihre Lehren aus der Wahl in Thüringen gezogen? Joachim Stamp, FDP-Chef in NRW, spricht im Interview über Parteichef Christian Lindner und unterschiedliche Wahrnehmungen in Ost und West.

 Joachim Stamp findet, dass die Regierung in NRW nach der Wahl in Thüringen stabil geblieben ist.

Joachim Stamp findet, dass die Regierung in NRW nach der Wahl in Thüringen stabil geblieben ist.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Herr Stamp, wie haben Sie davon erfahren, dass Ihr Parteikollege Kemmerich in Thüringen mithilfe der AfD gewählt wurde?

Joachim Stamp: Ein Mitarbeiter im Ministerium teilte mir das auf dem Flur mit. Ich war nicht nur überrascht, sondern geschockt. Und mir war sofort klar, dass ich das persönlich auf keinen Fall hinnehmen konnte.

Sie hatten das nicht kommen sehen?

Stamp: Es hat eine Mutmaßung eines führenden Landespolitikers in Thüringen gegeben. Ich habe dennoch nicht erwartet, dass es der AfD gelingen könnte, eine demokratische Wahl so perfide zu hintertreiben und den eigenen Kandidaten als Strohmann zu verbrennen.

Das heißt, Sie haben bis zum Schluss geglaubt, die AfD wählt ihren eigenen Kandidaten auch im dritten Wahlgang?

Stamp: Dass es ein Risiko gibt, hätte man erkennen können – im Rückblick sogar müssen. In jedem Fall hätte Thomas Kemmerich diese Wahl niemals annehmen dürfen.

Hatten Sie im Vorhinein Kontakt zu Herrn Kemmerich?

Stamp: Ja, ich habe ihm empfohlen, sich auch auf dieses unwahrscheinliche Szenario vorzubereiten.

Und wie hat er reagiert?

Stamp: Er antwortete, dass es keine Absprache mit der AfD gibt. Was ich ihm auch glaube. Thomas Kemmerich ist ein aufrechter Demokrat, der dann im entscheidenden Moment schlichtweg mit der Situation überfordert war. Das alles war ein Riesenfehler. Aber unser Bundesvorsitzender Christian Lindner hat dann ja am nächsten Tag die Thüringer Parteikollegen überzeugt – und Thomas Kemmerich ist zurückgetreten.

Anders als Herr Lindner haben Sie sich ja sofort ganz klar geäußert und Kemmerichs Rücktritt gefordert…

Stamp: Ich finde, dass man Christian Lindner unrecht tut: Sein Statement war nicht schwammig. Er hat gleich gesagt, dass er nicht Vorsitzender einer Partei sein kann, die in irgendeiner Weise mit der AfD kooperiert. Er war in seiner Wortwahl nicht so drastisch wie ich, weil sonst in Thüringen eine Art Trotzhaltung entstanden wäre, die den Rücktritt Kemmerichs erschwert hätte. Im Gegensatz zu Annegret Kramp-Karrenbauer hat Christian Lindner dann aber Führungsstärke bewiesen und die schwierige Lage für die FDP geklärt.

Warum stehen Sie nun nicht mehr dazu, dass Sie im Unterschied zu Herrn Lindner von Anfang an eine sehr klare Haltung vertreten haben?

Stamp: Ich habe meine Haltung nicht verändert. Als Parteivorsitzender war Christian Lindner in einer komplizierteren Lage, in der er gleichwohl sehr klar seine Haltung und den Ausweg Neuwahlen formuliert hat.

Wäre es nicht für die FDP besser, wenn sich in der Partei Ihre eindeutige Position als die maßgebliche durchsetzen würde?

Stamp: Es gibt da keinen Unterschied zwischen unserem FDP-Vorsitzenden und mir. Christian Lindner hat in einer beeindruckenden Rede im Deutschen Bundestag Verantwortung übernommen und für die Partei um Entschuldigung gebeten, eine solche Fähigkeit zur Selbstkritik erleben Sie bei Spitzenpolitikern selten. Es war völlig klar, dass diese Wahl nicht aufrechterhalten werden kann. Differenzen gibt es allerdings in der Bewertung der Vorgänge zwischen Ost- und Westdeutschen.

Was meinen Sie damit?

Stamp: Viele Menschen in Ostdeutschland haben einen etwas anderen Blick auf diesen Vorfall in Thüringen, den ich nicht nachvollziehen kann. Das mag auch daran liegen, dass im Osten Deutschlands zwei Diktaturen nicht richtig aufgearbeitet wurden. Viele Leute dort sehen nicht, dass es sich nur formal um eine demokratische Wahl handelte – weil die AfD einen eigenen Kandidaten vorgeschlagen hat, den sie gar nicht gewählt hat. Das war ein subversives Verhalten, das dem Geist der Verfassung widerspricht. Ich habe deshalb in der Landtagsdebatte von einem Anschlag auf die Demokratie gesprochen.

Aber Herr Lindner hätte Herrn Kemmerich doch vorher anrufen müssen...

Stamp: Auch Christian Lindner hätte sich ein solch perfides Verhalten der AfD nicht vorstellen können.

Was genau soll die Arbeitsgruppe leisten, die Christian Lindner im Bundestag zur Thüringen-Wahl ins Gespräch brachte?

Stamp: Christian Lindner hat im Bundestag angekündigt, dass sich eine Arbeitsgruppe der Bundestagsfraktion mit neuen Narrativen und Methoden der AfD sowie deren Einfluss und unserer Reaktion darauf befassen soll – auch mit externen Experten. Das halte ich für absolut richtig. Denn eines ist klar: Der Fehler von Erfurt darf sich nicht wiederholen. Dazu leisten wir als Freie Demokraten unseren Beitrag.

Sie werden bereits als Kandidat für Herrn Lindners Nachfolge gehandelt…

Stamp: Das ist doch Kokolores. Es stellt ihn in der Partei niemand infrage. Der Bundesvorstand hat ihm gerade eindrucksvoll das Vertrauen ausgesprochen.

In Hamburg wird in einer Woche gewählt. Die FDP fürchtet nun herbe Verluste. Wie muss das Wahl-Ergebnis in Hamburg ausfallen, damit Christian Lindner FDP-Chef bleiben kann?

Stamp: Egal wie die Wahl ausgeht – Christian Lindner bleibt FDP-Bundesvorsitzender.

Stünden Sie denn im Zweifel bereit?

Stamp: Nein. Die Frage stellt sich doch gar nicht. Die Stimmung in der Partei wird sich nicht drehen.

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