Kommentar zur Union und Jamaika Steinig und schwer

Meinung | Berlin · Hätte der Kompromiss zwischen CDU und CSU nicht schon früher und ohne die herben Verluste bei einer Bundestagswahl gefunden werden können, fragt sich GA-Korrespondent Holger Möhle.

Angela Merkel und Horst Seehofer haben es geschafft. Fürs Erste. Ihr Streit über die Frage, wie viele Flüchtlinge das Land pro Jahr verkraftet, ohne seinen Charakter, seine Identität, sein inneres Gleichgewicht zu verlieren, ist beigelegt.

Die politischen Geschwister haben sich wieder lieb. Wer liest, wie einfach das geschriebene Wort einen lange zersetzenden Zwist beendet, kommt schnell zu der Frage: War dieser Kompromiss nicht früher möglich? Mussten erst herbe Verluste bei einer Bundestagswahl die Dynamik für eine Einigung erzeugen?

Merkel und Seehofer jedenfalls haben nun, was jeder von ihnen für die eigene nähere politische Zukunft braucht. Seehofer kehrt mit der Beute jener Zahl von rund 200.000 Flüchtlingen als atmender Richtwert, abhängig von internationalen Entwicklungen, nach München zurück. Womöglich kann der CSU-Chef damit die Palastrevolution gegen ihn, die ihm beim Parteitag Mitte November in Nürnberg drohen könnte, noch abwenden.

Nach zwei Jahren der Unmöglichkeit

Merkel wiederum muss der CSU auch weiterhin das böse Wort der „Obergrenze“ nicht zumuten und sieht damit das Grundrecht auf Asyl weiter nicht angetastet. Es ist wie im richtigen Leben auch: Plötzlich machen (Wahl-)Niederlagen Kompromisse möglich, die über zwei Jahre im Bereich der Unmöglichkeit lagen.

Jetzt also haben CDU und CSU eine Basis für ihren Weg in eine Jamaika-Koalition. Doch dieser Weg wird steinig und schwer. Ob am Ende in einem Koalitionsvertrag die Zahl von 200.000 stehen wird, ist offen. Bislang ist es eine Einigung unter den Unionsparteien, von der sich erst noch zeigen muss, ob sich dahinter auch die FDP und vor allem die Grünen versammeln können.

Die Bauchschmerzen der FDP sind mit einer schönen Dosis Macht irgendwie behandelbar. Die Grünen aber werden ihrer Basis ein Bündnis auf Zeit mit den einstigen Gegnern CDU, CSU und FDP nur beibringen können, wenn sie drei bis vier Punkte präsentieren, die sie lupenrein bei sich verbuchen können. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden Galionsfiguren wie Claudia Roth oder Jürgen Trittin an die Rednerfront eines Grünen-Parteitages geschickt werden müssen, um für Jamaika zu werben.

Was bleibt von den Grünen?

Die Grünen müssen sich aber vor allem fragen: Wie viel wird von ihrer Partei nach vier Jahren Jamaika übrig sein? Man stelle sich vor, Trittin und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann an einem Kabinettstisch – da wäre dann tatsächlich die Quadratur des politischen Kreises gefunden.

Aber so weit ist es noch nicht. Vermutlich werden die potenziellen Partner schon nach einem ersten Sondierungsgespräch ein Gefühl dafür haben, was überhaupt zusammen gehen könnte – und was nicht. Merkel und Seehofer stehen unter großem Druck. Scheitern Koalitionsgespräche über Jamaika, könnte für beide aus ihrem politischen Herbst schnell ein harter Winter werden.

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