Vereidigung des neuen Bundespräsidenten Steinmeier als Mahner und Mutmacher

Berlin · Der neue Bundespräsident ist vereidigt und startet in seine Amtszeit mit einer klaren Botschaft. Diese richtet er besonders an den türkischen Präsidenten Erdogan.

Ausgerechnet die Frau mit der Richtlinienkompetenz sorgte beim Auftakt der Feierstunde zur Vereidigung des neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für kollektive Heiterkeit im Bundestag. Die Kanzlerin hatte Orientierungsprobleme im Plenarsaal, wo sie zunächst mit unsicheren Schritten der Stuhlreihe zustrebte, wo das bisherige und das neue Präsidentenpaar und einige weitere Verfassungsorgane Platz nehmen sollten. Ein Saaldiener dirigierte Angela Merkel schließlich zu ihrem gewohnten Kanzlerinnenstuhl mit der hohen Rückenlehne auf der Regierungsbank, und alle lachten.

Damit waren noch vor dem offiziellen Beginn der Vereidigung die Erwartungen zum ersten Mal durcheinandergekommen. Denn Orientierungsschwierigkeiten, tastende Schritte von seinem alten Amt als Außenminister in die Richtung der neuen Rolle als deutsches Staatsoberhaupt hätten die meisten an diesem Tag wohl eher von Frank-Walter Steinmeier erwartet. Ehrenrührig wäre das nicht. Nicht zuletzt Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck hat sich stets dazu bekannt, dass er in den ersten Monaten seines Daseins als Bundespräsident erst einmal vorsichtig war, sich selbst in der neuen Funktion ausprobieren und die Grenzen und Möglichkeiten des Amtes als erster Mann in diesem Staate zunächst ausloten musste.

Aber als Frank-Walter Steinmeier so wahr ihm Gott helfe geschworen hatte, dem deutschen Volke zu dienen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden, und seine erste Rede als Staatsoberhaupt begann, war davon nichts zu spüren.

Nach herzlichen Dankesworten für die Leistungen seines Vorgängers appellierte Steinmeier eindringlich an den türkischen Präsidenten Erdogan, nicht alles einzureißen, was er in den vergangenen Jahren der Annäherung zwischen der Türkei und Europa mit aufgebaut habe. Steinmeier bekannte sich zur Sorge um die Türkei, warb um Signale der Entspannung und forderte Respekt für Rechtsstaat und Pressefreiheit am Bosporus. „Beenden Sie die unsäglichen Nazi-Vergleiche“, mahnte Steinmeier außerdem, „und geben Sie Deniz Yücel frei!“

In seiner alten Rolle hätte Steinmeier einen solchen Appell wahrscheinlich nicht formuliert. Aber wer erwartet hatte, dass er sich schwer tun würde, das Korsett abzustreifen, das die Diplomatie Außenministern allzu oft abverlangt, den hat Steinmeier mit dem ersten Akzent in seiner ersten Präsidentenrede eines anderen belehrt.

Präsident Steinmeier hob zugleich hervor, dass die Demokratie nicht nur in anderen Teilen der Welt gefährdet ist. Nicht nur den „Machthunger der Autokraten“ überall auf der Welt sieht er als Gefahr, sondern auch Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit im Inneren. „Die Wahrheit ist doch: Eine neue Faszination des Autoritären ist tief nach Europa eingedrungen.“ Die liberale Demokratie stehe „unter lautem Beschuss von Radikalismus und Terrorismus“.

Zwar sieht Steinmeier in der Bundesrepublik keinen Grund für Alarmismus, wohl aber erfordere das Erstarken von Populisten mehr Engagement. „Wir müssen über die Demokratie nicht nur reden, wir müssen wieder lernen, für sie zu streiten“, forderte Steinmeier. „Mut ist das Lebenselixier der Demokratie“, betonte Steinmeier. „Die Stärke von Demokratien liegt nicht in ihrem Sendungsbewusstsein, sondern in ihrer Fähigkeit zu Selbstkritik.“ Er kündigte an, als Staatsoberhaupt parteiisch zu sein für die Sache der Demokratie selbst und für Europa. „Wer, wenn nicht wir, ist gefragt, mutig für die Demokratie zu streiten, wenn sie heute weltweit angefochten wird?“, fragte Steinmeier. Dabei seien gerade in Deutschland weder Klein- noch Hochmut angebracht. „Der Mut, den wir brauchen, ist der lebenszugewandte Mut von Demokraten.“

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