Im Sturm der Unordnung Steinmeier hält mahnende Eröffnungsrede auf Sicherheitskonferenz

München · Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt Europa und vor allem Deutschland zu mehr Verantwortung in einer Welt voller Umbrüche. Er hat sich lange auf seine Rede in München vorbereitet.

 Eröffnungsrede: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zu Beginn der 56. Münchner Sicherheitskonferenz.

Eröffnungsrede: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zu Beginn der 56. Münchner Sicherheitskonferenz.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Sechs Jahre sind in dieser Welt rasanter Veränderung eine lange Zeit. Frank-Walter Steinmeier ist zurück auf jener Bühne, auf der er 2014 schon einmal über die Welt als Ganzes und deutsche Befindlichkeiten im Besonderen gesprochen hat. Damals war Steinmeier noch Außenminister, noch deutscher Chef-Diplomat, auch multilateraler Netzwerker und Strippenzieher, ganz der tagespolitischen Agenda verpflichtet. Deutschland sei in Europa zu groß und zu bedeutend, „um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, hatte er seinerzeit unter anderem gesagt.

An diesem Freitag hat der 64-Jährige wieder einen bemerkenswerten Auftritt im großen Saal des Hotels „Bayerischer Hof“ in München. Nur dieses Mal spricht Steinmeier, seit März 2017 deutsches Staatsoberhaupt, in anderer Rolle. Vor ihm sitzt die erste Garde der weltweiten Sicherheitspolitik – Staatsoberhäupter, Regierungschefs, Minister, alles Menschen, die über Frieden in der Welt wachen sollen, allzu oft aber doch machtlos sind beziehungsweise einige dieser Konflikte mit ihrer Politik sogar schüren. Es soll diese eine große außenpolitische Rede des Bundespräsidenten Steinmeier in seiner ersten Amtszeit werden.

Steinmeier und seine Berater haben länger an dieser Rede gearbeitet. Denn: Die Welt von 2020 ist nicht mehr die Welt, die der Außenminister Steinmeier vor sechs Jahren skizzierte. Damals hatte Russland noch nicht die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim völkerrechtlich annektiert, es gab noch keinen Flüchtlingsstrom nach Deutschland mit allen innenpolitischen Verwerfungen vor allem zwischen CSU und CDU, Donald Trump war noch nicht US-Präsident und die Briten hatten auch noch nicht für ihren Weg raus aus der EU gestimmt. Kurz: Die Welt hatte noch eine andere Ordnung.

Der Bundespräsident ist angetreten, mit seiner Eröffnungsrede der Sicherheitskonferenz diese manchmal sehr unschöne neue Welt und die Folgen vor allem für Deutschland und Europa zu beschreiben. Steinmeiers erster Befund: „Vor allem aber ist das selbstverständliche „Wir“ des „Westens“ von damals heute nicht mehr selbstverständlich.“ Als Staatsoberhaupt kehrt er auch vor der eigenen, vor der deutschen Haustür. Es zeigten sich die „bösen Geister der Vergangenheit in neuem Gewand: völkisches Denken, Rassismus, Antisemitismus“. Deutschland sei wieder aufs Neue gefordert.

Aber auch in der Welt da draußen habe sich vieles verändert. Steinmeier spricht Russland und dessen Landraub der Halbinsel Krim an. Er kritisiert China, das das Völkerrecht nur „selektiv“ akzeptiere. Und er knöpft sich diese US-Regierung vor: „Als ob an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denkt. „Great again“ – auch auf Kosten der Nachbarn und Partner.“ Der Bundespräsident kritisiert insgesamt „eng verstandenes nationales Interesse“. Auch der größte Nationalstaat auf diesem Erdball könne die Probleme nicht allein lösen.

Nicht alle im Saal hören das gern. US-Außenminister Mike Pompeo und US-Verteidigungsminister Mark Esper etwa werden denken, sollen die Deutschen doch erst einmal das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllen, wenn ihr Bundespräsident hier so große Töne spuckt. Und genau das will Steinmeier auch: „Deutschland muss mehr beitragen für die Sicherheit Europas, auch innerhalb der Nato, auch finanziell.“ Das Zwei-Prozent-Ziel gelte. Doch er warnt vor einer Illusion: Selbst wenn alle in Europa zwei Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Verteidigung ausgeben würden, „könnten wir die Erosion der internationalen Ordnung, deren Zeuge wir in diesen Jahren werden, damit nicht aufhalten oder gar umkehren“.

Steinmeier sieht eine doppelte Verantwortung Deutschlands: Erstens für eine in der Verteidigungspolitik handlungsfähige EU, zweitens für einen Ausbau des europäischen Pfeilers der Nato, gerade auch, weil für die Nato-Führungsmacht USA „Europa nicht mehr so zentral wie früher“ sei. Und: „Wir müssen uns vor der Illusion hüten, dass das schwindende Interesse der USA an Europa allein auf die gegenwärtige Administration zurückzuführen ist.“

Die Deutschen seien mitnichten die besseren Europäer. Doch stehe es Europa, insbesondere Deutschland, gut an, „der Welt weniger missionarisch entgegenzutreten“. Steinmeier beruhigt: Mehr Verantwortung bedeute nicht „vor allem Militäreinsätze“. Verantwortung in der Welt von heute bedeute vor allem, „sich der Wirklichkeit zu stellen (..) und nach Wegen für eine bessere Welt zu suchen. Ja, er wisse aus vielen Gesprächen, die Menschen im Lande wünschten sich „Überschaubarkeit und Gewissheit“. Doch der Bundespräsident kann solche Beruhigungstabletten nicht verabreichen. Wie er die Weltkugel auch drehe, er komme zu dem Schluss, der Erdball werde „eher noch uneindeutiger, noch komplexer, noch widersprüchlicher“ Die Gesichter im Saal sprechen Bände. Steinmeier ist mit seinem Befund nicht allein.

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