Nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern Stimmeneinbruch im Stammland der Kanzlerin

Berlin · Die CDU bemüht sich während der Auslandsreise ihrer Vorsitzenden, eine Debatte über Angela Merkel möglichst nicht aufkommen zu lassen. Doch Fragen nach dem Grund für den Vertrauensverlust nagen und säen Zweifel.

Nachhaltiges Wachstum. Das ist jetzt das Gebot der Stunde. In Hangzhou ebenso wie in Schwerin und Berlin. Angela Merkel spricht gerade über die Ergebnisse des G20-Gipfels. Weltpolitik in China am Tag nach einer schweren Wahlniederlage für Merkel zu Hause in Deutschland. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich über Maßnahmen verständigt, wie die Weltwirtschaft anhaltend angekurbelt werden könne. Doch nachhaltiges Wachstum kann nun auch Merkel selbst dringend gebrauchen. Die heimische CDU abgestürzt auf einen neuen Tiefwert von 19 Prozent – wohl gemerkt in Merkels politischem Stammland Mecklenburg-Vorpommern.

„Merkel-Land ist abgebrannt“ hatte dazu der „Münchner Merkur“ süffisant-böse kommentiert. Die Klatsche für die CDU-Bundesvorsitzende in ihrer Heimat löst in Deutschland erneut eine Kandidatendebatte in den Unionsparteien für die Bundestagswahl im kommenden Jahr aus. Merkel hat bislang noch nicht erklärt, ob sie sich 2017 ein viertes Mal um das höchste Regierungsamt in Deutschland bewerben wird. 8500 Kilometer von Hangzhou entfernt versucht in Berlin CDU-Generalsekretär Peter Tauber eine Kandidatendebatte im Keim zu ersticken. „Angela Merkel hat uns durch viele Krisen geführt. Sie wird es auch diesmal tun“, ist Tauber um Normalität bemüht.

Am Morgen noch hat sich Merkel zur Telefonkonferenz des CDU-Bundesvorstandes zuschalten lassen. Da wird in Hangzhou gerade das Mittagessen für die Staats- und Regierungschefs aufgetischt. Doch Merkel muss die gefühlte Krise, jedenfalls die deutliche Wahlniederlage in Mecklenburg-Vorpommern, moderieren. In Hangzhou ist es schon Abend, als die CDU-Vorsitzende dann mit einer Regel bricht: Kanzler(in) und Minister kommentieren auf Auslandsreisen keine Inlandspolitik. Doch an einem Tag wie diesem sieht sich Merkel gezwungen, den Ausgang der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zu kommentieren.

Merkel "sehr unzufrieden" mit Wahlausgang

Jawohl, sie sei „sehr unzufrieden“ mit dem Wahlausgang. Fast ausschließlich hätten bundespolitische Themen bei dieser Landtagswahl eine Rolle gespielt, darunter natürlich jene Flüchtlingspolitik, die Merkel maßgeblich geprägt hat. Die Menschen hätten offenbar „nicht ausreichend Vertrauen in die Lösungskompetenz“ der Regierenden, obwohl schon „viel geschafft“ worden sei. CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte zuvor unter anderem auf die Verschärfung des Asylrechts sowie das neue Integrationskonzept hingewiesen. Merkel formuliert den Auftrag: „Alle müssen darüber nachdenken, wie können wir jetzt das Vertrauen wieder zurückgewinnen – und vorneweg natürlich ich.“

Ob sich das Wahlergebnis auch auf ihre Entscheidung einer möglichen vierten Kanzlerkandidatur auswirkt? Merkel sagt, was sie auf diese Frage bislang immer gesagt hat: „Zu gegebenem Zeitpunkt“ werde sie sich dazu äußern, „aber der Ausgang der Landtagswahl steht für sich“. Dies habe „natürlich mit der Flüchtlingspolitik“ zu tun. Gleichwohl hält Merkel an ihrem Kurs fest. Die grundlegenden Entscheidungen ihrer Flüchtlingspolitik, darunter auch das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen, seien „richtig“ gewesen.

In der SPD-Zentrale stehen an diesem Morgen ein weitgehend zufriedener Sigmar Gabriel und ein überaus zufriedener Erwin Sellering auf dem Podium, eingerahmt von weiteren Spitzengenossen. „Herzlichen Glückwunsch, tolle Leistung!“, lobt der SPD-Vorsitzende den Wahlsieger aus Schwerin. Irgendwie wittert der SPD-Chef wieder einmal Morgenluft, jedenfalls wiederholt Gabriel, was er in den zurückliegenden Tagen und Wochen mehrfach betont hat. „Nur zu sagen, wir schaffen das, und andere sollen es dann machen, geht eben nicht“, glaubt Gabriel ein Defizit in der Vermittlung von Merkels Flüchtlingspolitik erkannt zu haben, die die SPD gleichwohl seit einem Jahr mitgetragen hat. Die SPD sage: „Ja, wir können das schaffen, aber man muss Voraussetzungen schaffen.“ Ausreichend Geld für Sprachkurse, Integrationskurse und auch ein Solidarpaket für die gesamte Bevölkerung, nennt Gabriel einige Instrumente.

Berlin wählt am 18. September

Schon in knapp zwei Wochen steht die nächste Wahl in einem Bundesland an, wenn Berlin am 18. September das Abgeordnetenhaus neu wählt. Gabriel hofft auch hier, dass die SPD mit Michael Müller den Posten des Regierenden Bürgermeisters verteidigen kann. Ein erneuter Einbruch der Landes-CDU auch in Berlin wäre für Gabriel gleichfalls Treibstoff für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf wie auch für seine eigene mögliche Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl, die der SPD-Chef – Analogie zu Merkel – bislang noch nicht erklärt hat. Gabriel hat Sellerings Aufholjagd gelobt und wird nun gefragt, ob ihm so etwas im Bund womöglich auch gelingen könnte. Fangfrage. Gabriel weicht aus. Man sei ja noch zwölf Monate vor der Bundestagswahl. „Wenn wir fünf Monate davor wären, wären wir sicherlich auf dem Weg“, sagt der SPD-Chef, der noch kein erklärter Kandidat ist.

Schon in fünf Tagen kommt es wieder zu einem Spitzentreffen der großen Drei: Merkel, Gabriel und der ewig quertreibende CSU-Chef Horst Seehofer wollen sich dann im Kanzleramt zusammensetzen, um auch über die Folgen der AfD-Erfolge in den Ländern zu beraten. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer versprach gewissermaßen wieder „CSU pur“. Denn: „Es kann ja keiner mit dem Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern zufrieden sein, weder die SPD noch die CDU“, so Scheuer.

Großer Jubel herrscht am Tag nach der Landtagswahl bei der Alternative für Deutschland. Bundesvorsitzende Frauke Petry freut sich in Berlin über einen Wahlerfolg in Merkels Stammland. Und: „Wir werden weiter daran arbeiten, dass sie dieses Stammland verliert.“ Ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen geht noch weiter: „Wir wollen langfristig in diesem Land regieren.“ In diesem Land? Meuthen meint damit Deutschland, nicht Mecklenburg-Vorpommern. Merkel hat von Hangzhou aus versprochen, Vertrauen zurückzugewinnen. Gleich nach ihrer Rückkehr kann sie damit anfangen.

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