25 Jahre Mauerfall "Tag der Freude, Tag des Gedenkens"

BERLIN · Gleich wird Daniel Barenboim die Staatskapelle durch den vierten Satz von Beethovens Symphonie Nummer neun dirigieren. Am Mittag schon hatten die Musiker und ihr Generalmusikdirektor auf offener Bühne am Brandenburger Tor geprobt. Beethovens "Neunte" verströmt etwas Großes, liefert Dramatik ebenso wie sie monumental klingt.

Und groß, ja, ebenso einmalig wie unglaublich war dieses Ereignis vor 25 Jahren ohne jeden Zweifel, das Berlin an diesem Tag feiert: der Fall der Mauer. Jetzt, zu Beginn der 20. Stunde dieses Festtages, reißen die Berliner die Mauer noch einmal ein, wenn auch nicht physisch, sondern nur symbolisch.

Seit gut neun Stunden arbeiten sich Regierende nebst Staatsoberhaupt, ehemalige Bürgerrechtler, Berliner Bürger und ihre Besucher durch ein dicht getaktetes Programm an sehr vielen Plätzen der Stadt, vor allem an der heutigen Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gedenken und reden seit dem Vormittag. Zeremonie an der Hinterlandmauer, Gedenkgottesdienst in der "Kapelle der Versöhnung", Gang an der ehemaligen Grenzmauer, Eröffnung der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte, Festakt des Landes Berlin im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, und dann natürlich das Bürgerfest am Brandenburger Tor mit jeder Menge Musik.

[kein Linktext vorhanden]Doch jetzt steigen endlich jene 8000 Luftballons, über Tage befestigt an Stelen, in den Berliner Abendhimmel, die nach und nach entlang des ehemaligen Grenzverlaufs die Mauer noch einmal auflösen - symbolisch. 25 Jahre später. Von der East Side Gallery über Checkpoint Charlie hin zum Potsdamer Platz, vorbei am Brandenburger Tor rüber zur Bernauer Straße und dem Mauerpark bis die Ballonkette schließlich am ehemaligen Grenzübergang Bornholmer Straße endet. Ein beeindruckendes Bild, wie sich die Mauer, sichtbar gemacht durch Tausende beleuchtete Ballons, nach und nach auflöst. Wenn es nur so einfach gewesen wäre.

Die Mauer also. Karsten Guth war kein Mauerspecht. Obwohl, die Fähigkeiten und Mittel hätte er gehabt, damals im November 1989. Guth war Baufacharbeiter im Kreisbaubetrieb im brandenburgischen Luckau, spezialisiert auf Mauerwerksbau. Doch auch wenn "das DDR-System nicht das non plus ultra war, das wusste jeder, der mit offenen Augen durchs Leben ging", wäre Guth nicht auf die Mauer gesprungen, um mit Hammer und Pickel dieses Bauwerk der deutsch-deutschen Teilung einzureißen. Guth, 49 Jahre alt, steht gerade auf der Westseite der Bernauer Straße, einst berühmt-berüchtigt durch besonders abrupte Trennungen von Hausgemeinschaften und Nachbarn durch den Bau der Mauer.

Auf der anderen Straßenseite ist die Mauer-Gedenkstätte. Dahinter beginnt der alte Osten, heute Bezirk Mitte. 70 Meter Mauerstreifen erinnern dort für alle Zukunft an ein ebenso gnadenloses wie brutales Grenzregime. Guth blickt hinüber. Er sagt: "Es ist schön, dass sie weg ist." Hinterlandmauer (zur Absicherung der Ostseite), Sperrzaun, Postenweg, Berliner Mauer. Das war einmal.

Werner Schulz, der frühere DDR-Bürgerrechtler und spätere Bundestags- und Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, sagt bei einem der Zeitzeugengespräche des Tages: "Die DDR war eine Lüge auf drei Buchstaben." Verlogen von Anfang an, in Wahrheit ein "demagogisches Diktaturregime". Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls muss dies noch einmal gesagt sein.

Die Kanzlerin ist da. Angela Merkel schüttelt Hände mit Besuchern. Was in der Kabine der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gefragt ist, ist auch hier möglich - auf dem ehemaligen Todesstreifen: ein sogenanntes "Selfie" mit der Bundeskanzlerin. An einem Tag der nationalen Freude. Eine Besucherin erzählt, wie sie damals einen DDR-Grenzer gefragt habe, warum er sich nicht freue. Der Ost-Uniformierte: "Wir haben noch keene Instruktion." Merkel selbst hatte den Mauerfall ja beinahe verschwitzt: Sie saß zum Zeitpunkt der historischen Grenzöffnung zunächst in der Sauna, ging aber dann zum Grenzposten Bornholmer Straße, wie sie vor einiger Zeit verraten hat.

Nun geht Merkel am 25. Jahrestag des Mauerfalls in die "Kapelle der Versöhnung". Gedenkgottesdienst. Unter den Gästen ist auch Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR. Ebenso Karin Gueffroy, Mutter des letzten Mauertoten Chris Gueffroy, der durch den Schießbefehl ums Leben kam. Merkel, Wowereit, Gueffroy, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und auch der Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, entzünden später Kerzen an dem ehemaligen Todesstreifen in der Bernauer Straße.

Merkel und Wowereit erinnern bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Berliner Mauer an die Mauertoten, aber auch an die Opfer, die überlebt haben. Merkel betont, der 9. November sei ein "Tag der Freude, aber immer auch ein Tag des Gedenkens an ihre Opfer". Für Merkel ist die DDR ein Unrechtsstaat. "Wenn ein Staat darauf gegründet ist, elementare Freiheitsrechte zu missachten, was sollte er anderes sein als ein Unrechtsstaat", so die Bundeskanzlerin. Unrecht bleibe Unrecht. "Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden." Es könne verschwimmen oder vergessen werden. Doch genau deswegen brauche es auch Orte der Erinnerung. Wie hier an der Bernauer Straße. "Träume können wahr werden. Nichts muss so bleiben, wie es ist", macht Merkel Mut. Wowereit wird später beim Festakt im Konzerthaus am Gendarmenmarkt sagen: "Glückliches Berlin, glückliches Deutschland."

Deutsch-Rocker Udo Lindenberg hatte so einen Traum - vom "Sonderzug nach Pankow" und einem "Mädchen aus Ostberlin". Er ist wahr geworden. Lindenberg hat seinen obligatorischen Hut tief ins Gesicht gezogen. Auftritt am Brandenburger Tor. Lindenberg zum Mauerfall-Jubiläum - das muss einfach sein. Die leuchtenden Ballons sind da schon längst am Himmel. Die Mauer hat sich doch tatsächlich aufgelöst. In Luft.

Genscher nicht dabei

Der ehemalige Bundesaußenminister und FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher konnte wegen seiner Brustwirbelverletzung nicht an den Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin teilnehmen. Genscher (87) habe sich den Bruch vor einigen Wochen beim Heben eines Koffers im Urlaub in Süddeutschland zugezogen, berichtete die Bild am Sonntag. Er absolviere ein langwieriges Reha-Programm und sage zu seinem Gesundheitszustand: "Es geht voran."

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