Treffen im Kanzleramt Konzertierte Aktion mit einigen Misstönen

Berlin · Bundeskanzler Olaf Scholz tüftelt mit Gewerkschaften und Arbeitgebern an gemeinsamen Schritten gegen die hohe Inflation und die drohende Rezession. Nicht alle sind von den Ergebnissen der Konzertierten Aktion überzeugt.

Nach dem Treffen im Kanzleramt: Rainer Dulger (l.), BDA-Präsident, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Nach dem Treffen im Kanzleramt: Rainer Dulger (l.), BDA-Präsident, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Die Bundesregierung war im Vorfeld der Konzertierten Aktion im Kanzleramt mit drei Entlastungspaketen bereits in Vorleistung gegangen. Diese Maßnahmen mit einem Umfang von insgesamt 95 Milliarden Euro kommen vor allem den Verbrauchern zugute. Wirtschaftsverbände forderten von der Regierung daher weitere Entlastungen und Wirtschaftshilfen für die Betriebe wegen der massiv gestiegenen Energiekosten. Viele kleine und mittlere Unternehmen kämpfen bereits um ihr Überleben.

Scholz hatte die Konzertierte Aktion Anfang Juli ins Leben gerufen, um gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern Lösungen im Kampf gegen die Inflation zu finden. Durch Zugeständnisse von allen Seiten will Scholz eine Lohn-Preis-Spirale verhindern, die die Inflation weiter anheizen würde. Wegen der drohenden Rezession in diesem Herbst rückt neben der Inflationsbekämpfung nun auch verstärkt der Kampf gegen eine Insolvenzwelle in den Vordergrund.

Wirtschaftshilfen: Scholz machte am Donnerstag deutlich, dass die Sorgen der Wirtschaft bei ihm angekommen sind. Man setze viel Geld ein, um für Entlastungen bei den Bürgern und Arbeitnehmern, „aber eben auch bei der deutschen Wirtschaft zu sorgen“, sagte Scholz nach dem Treffen im Kanzleramt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte auf dem Mittelstandsgipfel am Dienstag bereits zusätzliche Staatshilfen für pleitebedrohte Unternehmen angekündigt, ein präzises Programm blieb er aber noch schuldig.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian, forderte neben schnellen Hilfskrediten der Staatsbank KfW auch Staatsbürgschaften für betriebliche Stromverträge. „Eine wachsende Zahl von Betrieben bekommt überhaupt keine Gas- oder Stromverträge mehr, weil ihre Versorger drohende Preisschwankungen nicht mehr absichern können“, sagte Adrian. Hier müsse eine einfache Staatsbürgschaft oder Garantie her.

Kampf gegen hohe Energiepreise: Eine neue Expertenkommission mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik soll Maßnahmen gegen die hohen Gaspreise und Heizkosten erarbeiten. Laut Scholz soll sie „sehr schnell schon im Oktober“ Ergebnisse liefern. „Wir werden auch das Preisproblem in den Griff bekommen“, sicherte der Kanzler zu. Deutschland werde „durch diesen Winter kommen“. Geleitet wird die Kommission von der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, dem Chef der Industriegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, und Industriepräsident Siegfried Russwurm. „Immer mehr Haushalte wissen nicht, wie sie ihre Abschlagszahlungen bezahlen sollen. Wir müssen schnellstens für Sicherheit sorgen“, sagte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch, der der Kommission ebenfalls angehört. „Darum brauchen wir jetzt systemische Eingriffe, um den Gaspreis kurzfristig abzusenken.“

Lohnpolitik: Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, blieb bei ihrer Forderung nach dauerhaft steigenden Löhnen. Man werde die eigene Erwartungshaltung sehr klarmachen, „nämlich, dass wir eine Stabilisierung der Reallöhne brauchen“, sagte Fahimi. Nach dem Treffen im Kanzleramt forderte die DGB-Chefin ein „hohes Tempo“ bei der Umsetzungen der Entlastungen. Es sei wichtig, dass schnell Entscheidungen getroffen werden, die noch in diesem Jahr Entlastungen schaffen würden.

Laut dem Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sei eine Lohnpolitik wichtig, die keine Inflationsverschärfung verursache. Die Konzertierte Aktion könne einen „wichtigen Beitrag“ zur Orientierung der Lohnpolitik, aber auch der Geld- und Finanzpolitik leisten. „Dafür sollte einerseits das wechselseitige Verständnis für die Herausforderungen und Bedingungen steigen, andererseits aber Verantwortung nicht verwischt werden“, sagte Hüther.

Steuerfreie Zuschüsse: Im dritten Entlastungspaket hatte die Ampel vereinbart, dass der Bund auf Steuern und Abgaben verzichten will, wenn Unternehmen 2023 zusätzliche Zahlungen bis zu 3000 Euro an ihre Beschäftigten leisten. Fahimi bezeichnete dies als richtigen Ansatz. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger begrüßte die steuerfreien Einmalzahlungen grundsätzlich, legte aber Wert darauf, dass sie als „freiwilliges und flexibles Instrume nt“ ausgestaltet werden. „Manche Betriebe werden das nicht am ersten Tag leisten können und auch nicht in voller Höhe“, sagte Dulger.

Skeptischer äußerte sich der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. „Diese Subventionierung heizt die Inflation eher an“, sagte der Ökonom. Der Staat solle die Tarifverhandlungen den Tarifparteien überlassen und nicht eingreifen. Er warf die Frage auf, welche Zusagen die Arbeitgeber geben könnten. „Normalerweise wäre das die Zusage einer Beschäftigungssicherung, aber da die meisten Unternehmen ohnehin Personal suchen, ist das keine Konzession. Auch deshalb ist unklar, was die Konzertierte Aktion erreichen soll.“

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