Akten zu Asylverfahren in türkischer Hand Türkei nimmt Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft fest

Berlin · Die Türkei hat einen Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Ankara festgenommen. Der Geheimdienst dürfte nun über brisante Informationen zu deutschen Asylverfahren verfügen.

 Oft enthalten Asyl-Akten sensible Daten.

Oft enthalten Asyl-Akten sensible Daten.

Foto: picture alliance / Felix Kästle//Felix Kästle

Mit der Festnahme von Yilmaz S., des Vertrauensanwaltes der deutschen Botschaft in Ankara, ist nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl ein „asylrechtlicher GAU“ eingetreten. Der aus der Kernenergie gewohnte Begriff des „Größten Anzunehmenden Unfalls“ bezieht sich auf eine Vielzahl von dabei offensichtlich in die Hände des türkischen Geheimdienstes gefallenen Akten aus deutschen Asylverfahren. War zunächst von 50 Betroffenen die Rede, bewegen sich die Schätzungen nun bereits bei über 200.

„Asyl-Akten sind das Sensibelste, was man sich vorstellen kann“, erläutert Karl Kopp, der Leiter des Pro-Asyl-Europareferates. Als der Anwalt in Ankara auf dem Weg zur deutschen Botschaft von türkischen Sicherheitskräften am 17. September festgenommen wurde, hatte er offenbar solche Akten dabei. Weitere könnten in seinem Büro, das angeblich durchsucht wurde, in türkische Hände gefallen sein.  Hans-Eckhard Sommer, Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, spricht denn auch von einem „außenpolitischen Skandal“. Es sei üblich, mithilfe von Kooperationsanwälten den im Asylverfahren angegebenen Fluchtgründen nachzugehen und auch mögliche Gefahren bei einer Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland abzuklären.

Nach türkischen Medienberichten wird dem Festgenommenen vorgeworfen, er habe „Verbindungen zu einer Terrororganisation“. Martin Erdmann, der deutsche Botschafter in Ankara, bemüht sich seit Mitte September um eine Freilassung. Seine Möglichkeiten sind jedoch begrenzt, da der Anwalt die türkische Staatsbürgerschaft besitzt.

Seit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 wirft die türkische Regierung der Bundesrepublik vor, Akteuren oder Sympathisanten des „Terrorismus“ Schutz zu gewähren. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat der türkische Geheimdienst den Auftrag, die „Rückholung“ verdächtigter Personen zu organisieren. Die oberste Priorität liege darauf, den Aufenthalt von Anhängern der Gülen-Bewegung aufzuklären, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird.

Weltweit sollen laut Verfassungsschutz schon mehr als 100 mutmaßliche Gülen-Anhänger aus rund 20 Ländern in die Türkei gebracht worden sein. Darunter zum Beispiel sechs Bürger, die unter Mithilfe der örtlichen Behörden aus dem Kosovo geholt wurden. In Einzelfällen geschehe dies jedoch auch ohne Wissen der zuständigen Sicherheitsbehörden und nehme den Charakter von Entführungen an.

Deshalb haben die deutschen Behörden in den zurückliegenden Wochen die in Deutschland lebenden Asylbewerber informiert, deren Daten nun im Besitz des türkischen Geheimdienstes sein könnten. Wie Kopp weiter schildert, sind aber nicht nur die Antragsteller selbst betroffen. Auch ihre in der Türkei gebliebenen Angehörigen schwebten in Gefahr. Zudem enthalten die Akten auch immer wieder Schilderungen von Aktivitäten, weswegen den Asylbewerbern in ihrer Heimat Verfolgung droht. Diese Darstellungen könnte der Geheimdienst nun als Selbstbezichtigung nehmen, um die Verfolgung der Betroffenen zu intensivieren.

Das Auswärtige Amt warnt Türkei-Reisende vor der Gefahr, willkürlich festgenommen, mit Ausreisesperre belegt oder von Einreiseverboten betroffen zu werden. „Festnahmen, Strafverfolgung oder Ausreisesperre deutscher Staatsangehöriger erfolgten des Weiteren vielfach in Zusammenhang mit regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien, vermehrt auch aufgrund des Vorwurfs des im türkischen Strafrecht vorgesehenen Tatbestands der Präsidentenbeleidigung“, berichtet das Auswärtige Amt. Vor längerer Zeit einmal eine kritische Bemerkung über Präsident Recep Tayyip Erdogan einfach nur gelikt zu haben, kann danach schon ausreichen, um Reisende festzuhalten. Im Falle einer „Präsidentenbeleidigung“ drohen mehrjährige Haftstrafen.

Betroffen sind nach Behördeneinschätzung insbesondere deutsche Staatsbürger mit engen privaten und persönlichen Bindungen in die Türkei und Personen, die neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Es komme in letzter Zeit  vermehrt zu Festnahmen deutscher Staatsangehöriger, die in Deutschland in kurdischen Vereinen aktiv seien oder gewesen seien, berichtet das Auswärtige Amt.

Nach Experteneinschätzung ist es schwer, aus dem Fokus des türkischen Geheimdienstes herauszukommen. Laut Verfassungsschutz gehen türkische Spionageaktivitäten zumeist von den unterschiedlichen Repräsentanzen der Türkei in Deutschland aus. Weil deren Zahl so groß sei, bestehe für den türkischen Geheimdienst eine „günstige Beschaffungslage“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort