Wüst und Kutschaty vor der NRW-Landtagswahl Wahlversprechen und Beißhemmungen - so lief das TV-Duell

Solingen · In einer Hochzeits-Location im Bergischen Land liefern sich Amtsinhaber Wüst und Herausforderer Kutschaty das letzte Duell vor der Wahl am Sonntag. Dabei wählen beide jeweils eine unerwartete Strategie.

 Thomas Kutschaty (l.) und Hendrik Wüst beim TV-Duell in Solingen.

Thomas Kutschaty (l.) und Hendrik Wüst beim TV-Duell in Solingen.

Foto: dpa/Oliver Berg

Gleich zu Beginn ein kurzer Moment der Verunsicherung beim Team Wüst. Die rund 70 Jung-Unionisten haben keine weißen oder roten Bändchen, die sie als Gäste ausweisen und zum Zutritt zum Gelände der Alten Schlossfabrik in Solingen berechtigen. Deshalb werden sie an einer Einlasssperre von einer Sicherheitskraft aufgehalten. Doch die Situation lässt sich dank tatkräftiger Mithilfe des Landeskriminalamtes schnell klären. Die Jugendlichen in blauen Kapuzenpullis werden schließlich doch in den Innenhof des Backsteingebäudes vorgelassen.

Zu dem Zeitpunkt ist der Kontrahent längst da. Um 19.10 Uhr rollt der Bulli von SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty aufs Gelände und hält unmittelbar vor dem Gebäude, in dem sonst vor allem Hochzeiten gefeiert werden. Harmonisch, so der Plan, soll es aber an diesem Abend nicht zugehen. In den Umfragen liegen Kutschaty und Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU zu dicht beieinander. Schwarz-Grün, eine Ampel oder am Ende doch womöglich eine Neuauflage von Rot-Grün? An diesem Abend gilt es, bei den letzten unentschlossenen Wählern einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Für Kutschaty heißt das: Attacke ist Pflicht.

Understatement versus Inszenierung

Der auf ihn wartende Kreis ist deutlich überschaubarer. Keine jubelnden Jusos. SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders eilt ihrem Landesvorsitzenden entgegen. Auch Fraktionsvize Lisa Kapteinat begrüßt ihn kurz und herzlich. Das war es dann aber auch schon mit Unterstützern. Understatement versus Inszenierung. Denn acht Minuten später rollen zwei schwarze, gepanzerte Limousinen mit aufgepflanztem Blaulicht auf den Hof. Über ihnen surrt eine Drohne, um die Ankunft aus der Luft zu filmen. Als Wüst die Autotür geöffnet wird, branden Applaus und Jubel der wartenden Jung-Unionisten auf. „Team Wüst“-Schilder mit dem Konterfei ihres Idols werden in die Luft gereckt. Wüst steuert erst auf den Landevorsitzenden der JU, Johannes Winkel, zu und begrüßt dann Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, die als frisch gebackene Wahlsiegerin an diesem Abend zum Anfeuern dabei ist. Wüst hält sich aber nicht lange auf, geht zielstrebig auf den Eingang zu. Er wirkt konzentriert.

Podest für Kutschaty

Der Saal „Grotte“ wurde zum Set umfunktioniert. Ohne Zuschauer treffen die beiden Kontrahenten aufeinander. Die Fotografen drängen sich hinter den Moderatorinnen Gabi Ludwig und Ellen Ehni, um die Spitzenkandidaten in dem Säulengewölbe frontal ins Bild zu bekommen. Um kein optisches Ungleichgewicht zu bekommen, steht für den deutlich kleineren Kutschaty ein Podest bereit. Ehni eilt noch einmal kurz zurück, um ihre Moderationskarten zu holen. Kutschaty witzelt, dass ausgerechnet Wüst eine rote Krawatte gewählt habe. Dann werden die Fotografen und Journalisten freundlich aber bestimmt aus dem Saal geleitet. Das Duell beginnt.

Gabi Ludwig verspricht den Zuschauern „ein bisschen Entscheidungshilfe“. Am Morgen war in Kutschatys Stadtteil in Essen-Borbeck ein 16-Jähriger festgenommen worden, der einen rechtsextremistischen Anschlag geplant haben soll. Es geht also gleich zu Beginn um die innere Sicherheit – CDU-Kernkompetenz. Wüst selbst hatte in der „Wahlarena“ der vergangenen Woche, dem Fünfkampf der Spitzenkandidaten, noch moniert, dass das Thema überhaupt nicht aufgerufen worden war. Jetzt hat er die Chance zu punkten. Dabei setzt Wüst auf die Karte Herbert Reul, beliebtester Minister in seinem Kabinett. Unter dessen Ägide sei beispielsweise das Thema Clankriminalität überhaupt erst als solches benannt worden. Es ist ein Muster, das sich durch den ganzen Abend ziehe n wird: Wüst wird alle Missstände, die man (noch) nicht habe lösen können, der rot-grünen Vorgängerregierung anlasten. Erfassung des Unterrichtsausfalls? Durch die amtierende Regierung überhaupt angeschoben. Und auch den Krankenhausplan seines Ministers Karl-Josef Laumann nutzt der Ministerpräsident gleich mal für den Angriff auf den politischen Gegner: „Nicht erst alles versprechen und dann nichts machen. Das ist das, was Sie gemacht haben.“

Charmant statt angriffslustig

Kutschaty überrascht dann gerade dadurch, dass er nicht auf Attacke setzt, sondern im Gegenteil vielmehr um einen freundlichen, charmanten Eindruck bemüht ist. Als Ludwig ihn fragt, ob er denn den beliebten Innenminister einfach übernehmen wolle, sagt er schmunzelnd: „Ich glaube nicht, dass Herbert Reul in eine SPD-geführte Landesregierung passen würde.“ Erst nach elf Minuten Duell greift Kutschaty Wüst an. Der hat sein Kabinett da gerade für den Rückgang bei den Wohnungseinbrüchen über den grünen Klee gelobt. Kutschaty kontert: Corona und Lockdown seien dafür verantwortlich, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche zurückgegangen sei.

Bei der Schulpolitik könnte er noch einmal Wüst in die Parade fahren, vor allem mit Blick auf das Pandemiemanagement, das viele Eltern als Zumutung empfinden. Doch Kutschaty meidet den Komplex, spricht lieber über unbesetzte Lehrerstellen und überlässt damit ein Kernthema dem Amtsinhaber. Der nutzt gleich mal ganz frech ein nachweislich gebrochenes Wahlversprechen von Schwarz-Gelb, die Angleichung des Einstiegsgehalts für Grundschul- und Sekundarstufe-I-Lehrer auf A13, um es einfach noch einmal zu versprechen: „Es wird eines der ersten Projekte sein, in den ersten 100 Tagen.“ Und auch hier wieder die Strategie, alles Schlechte Rot-Grün anzulasten: Als Kutschaty auf 8000 unbesetzte Stellen an den Schulen hinweist, kontert Wüst damit, dass die Lehrer vor sieben Jahren in ihre Ausbildung hätten starten müssen.

Beim Thema Wohnen flammt dann etwas von Kutschatys Angriffslust auf, die man ansonsten aus dem Landtag kennt, als er dem Ministerpräsidenten vorhält, mit Landesmitteln lieber Gutsituierte zu beglücken, als günstigen Wohnraum zu schaffen. Die Alleinerziehende in Köln können sich kein Haus für eine Million Euro leisten, bei dessen Kauf sie vom Land um 10.000 Euro entlastet würde.

Quiz für Wüst und Kutschaty

Ein neues Element, das sich die Redaktion hat einfallen lassen, zeigt dann das eigentliche Problem des Abends: Die beiden Kandidaten bekommen Punkte ihres Wahlprogramms vorgetragen, bei denen sie raten sollen, ob es aus ihrem eigenen oder dem des Mitbewerbers stammt. Was spielerisch wirken soll, zeigt eigentlich nur, wie Deckungsgleich die Ideen von SPD und CDU an vielen Stellen sind. Heiterkeit kommt auf, als Ludwig folgende Stelle vorträgt: „Wer krank ist, braucht ein Krankenhaus vor Ort. Eines, das so nah ist, dass ein lieber Freund mit Blumenstrauß leicht zu Besuch kommen kann.“ Wüst darauf: „An den Blumenstrauß würde ich mich erinnern.“ Kutschaty: „So kunstvoll formulieren wir, ja!“

Statt Blumen gibt es dann am Ende von Kutschaty für Wüst etwas anderes. Als der Ministerpräsident nach dem Duell schnell davoneilen will, hält Kutschaty den Kontrahenten noch einmal kurz auf und drückt ihm etwas in die Hand: eine Tonie-Hörspielfigur, die mit Bart und Brille entfernt an Thomas Kutschaty erinnert und laut Verpackung zur Thomie-Figur mit Geschichten aus Nordrhein-Westfalen umgewidmet wurde. Wer die Geschichte des bevölkerungsreichsten Bundeslandes für die kommenden fünf Jahre gestalten wird, entscheidet sich am Sonntag.

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