Ausschuss zur Ahr-Flut Opposition fordert Rücktritt von Ministerpräsidentin Dreyer

Update | Mainz · Im Untersuchungsausschuss zur Ahrtalflut äußerte sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer erneut zu ihrem Handeln in der Nacht der Katastrophe. Dabei weist sie eine persönliche Verantwortung zurück. Aus der CDU kommen Rücktrittsforderungen.

 Malu Dreyer sagte erneut im Untersuchungsausschuss aus.

Malu Dreyer sagte erneut im Untersuchungsausschuss aus.

Foto: dpa/Boris Roessler

Ihre Vernehmung ist mit Spannung erwartet worden. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sitzt an diesem Freitagmittag zum zweiten Mal vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtages zur Flutkatastrophe. Die Oppositionsfraktionen haben in den Wochen zuvor Tausende Dokumente in Augenschein genommen. Es wurden Aktenseiten gewälzt, SMS-Kontakte gesichtet, Videos in Augenschein genommen und versucht, Strategien zu entwickeln. Das Ziel: Dreyer mit Informationen zu konfrontieren, die sie mehr in Verlegenheit bringen als bei ihrer ersten Vernehmung im April vorigen Jahres.

Nach drei Stunden und zehn Minuten ist die Befragung zu Ende. Für CDU und AfD ist danach klar: Dreyer muss zurücktreten. CDU-Obmann Dirk Herber sagt: „Wir fanden den Auftritt der Ministerpräsidentin beschämend. Sie hat eine weitere Chance verpasst, für Aufklärung zu sorgen.“ Sie habe es verpasst, bei den Menschen im Ahrtal um Entschuldigung zu bitten. „Und sie hat es auch verpasst, persönlich die Verantwortung zu übernehmen.“ Danach wird Herber so deutlich wie bisher noch nie: „Die Ministerpräsidentin muss selbst ihre Konsequenzen ziehen, so wie es bereits Minister vor ihr getan haben.“ Er erinnert an die frühere Umweltministerin Anne Spiegel, die als Bundesfamilienministerin zurückgetreten ist, und an den Rücktritt des damaligen Innenministers Roger Lewentz. „Jetzt ist es an der Reihe der Ministerpräsidentin, ihre Konsequenzen für ihr Fehlverhalten zu ziehen.“

Der AfD-Obmann Michael Frisch sagt: „Die Ministerpräsidentin hat sich in der Flutnacht nicht darum gekümmert, was ihre Minister tun. Sie hat nicht sichergestellt, dass sie kommunizieren und zusammenarbeiten, und wir wissen, dass das ein wesentlicher Grund für die dramatischen Folgen gewesen ist.“ Die Regierungschefin selbst hat zuvor klargemacht, dass sie über ihre Aussagen aus der ersten Vernehmung nicht hinausgehen wird. Mehrfach spricht sie davon, dass sie dieses und jenes ja schon einmal gesagt habe.

Dreyer weist persönliche Verantwortung für Fehler in der Flutnacht zurück

Auf Fragen der Opposition wiederholt sie immer wieder: Niemand habe sich das Ausmaß dieser Naturkatastrophe vorstellen können, auch habe sie in der Flutnacht keinen Anlass gehabt, daran zu zweifeln, dass der kommunale Katastrophenschutz die Lage im Griff habe. Außerdem habe sie gewusst, dass die Staatssekretäre im Innen- und Umweltministerium miteinander im Gespräch gewesen seien. Eine persönliche Verantwortung für Fehler in der Flutnacht weist sie erneut zurück.

Frisch lässt ein Video vorführen, dass ein Hochwasser 2018 im Eifelkreis Bitburg-Prüm zeigt. Darin spricht Dreyer von einem „richtig, richtig schlimmen Hochwasser“. Laut Unterlagen habe sie 2021, so Frisch, die Information bekommen, dass es schlimmer als 2018 werde. „Hat Sie das beeinflusst?“, fragt er. „Nein“, sagt Dreyer, damals sei „die Herausforderung vom Katastrophenschutz ja sehr gut gestemmt worden“. Sorge um Menschenleben habe sie nicht gehabt.

CDU-Obmann Herber zitiert einen Meteorologen, der schon einen Tag vor der Flut von einem extremen Risiko für extremes Hochwasser und einer Sturzflut gesprochen habe. Auch das prallt an Dreyer ab: Die Katastrophenschützer seien von einem schweren Hochwasser ausgegangen. Sie spricht auch hier wieder von dem gut vorbereiteten Kata­strophenschutz. Dass sich die Lage zuspitzen würde und Ahr-Landrat Jürgen Pföhler nur sporadisch in der Einsatzleitung gewesen sei, habe sie nicht wissen können.

Malu Dreyer will Wiederaufbau vorantreiben

Viel lieber berichtet Dreyer über all das, was sie ab den frühen Morgenstunden des 15. Juli – also dem Tag nach der Flut – veranlasst habe. Ihre oberste Priorität sei es gewesen, mit den Flutfolgen umzugehen und die Menschen zu unterstützen. Sie nennt zahlreiche Beispiele, spricht von Sonderkabinettssitzungen, bei denen es darum gegangen sei, den Soforthilfefonds und den Wiederaufbaufonds in die Wege zu leiten. Oft sei sie im Ahrtal gewesen und habe dort mit Helfern geredet, sich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass Freiwillige, die zur Unterstützung ins Tal gekommen waren, dafür auch entlohnt würden.

Zugleich stärkt die Ministerpräsidentin auch dem Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) den Rücken, die drei Tage nach der Flut die Einsatzleitung übernommen hatte. Sie habe es damals so wahrgenommen, dass die Einsatzleitung unter der Verantwortung von Thomas Linnertz alles gegeben habe. Linnertz und seine Mitarbeiter hätten eine Riesenaufgabe bis zur Erschöpfung wahrgenommen.

Einmal ist Dreyer sogar anzumerken, dass sie auch gut eineinhalb Jahre danach von den Flutfolgen noch angefasst ist. Mit brüchiger Stimme sagt sie mit Blick auf die Menschen im Ahrtal, „dass es mir sehr, sehr Leid tut und ich auch oft in Gedanken bei ihnen bin“. Die SPD ist jedenfalls sehr zufrieden mit ihrer Ministerpräsidentin. Diese habe „mit ihren ausführlichen und plausiblen Ausführungen einmal mehr belegt, dass der Landesregierung in der akuten Lage keinerlei Anzeichen vorlagen, dass es sich um eine Katastrophe bis dato unbekannten Ausmaßes handelt“, sagt Obmann Nico Steinbach.

Experte stellt Gutachten über Krisenmanagement vor

Zuvor hatte Dominic Gißler im Zeugenstuhl Platz genommen. Die vom Ausschussvorsitzenden angekündigten 20 Minuten Redezeit überschritt er bei Weitem – zu komplex war das Gutachten des Experten, um es in so kurzer Zeit dem Flut-Untersuchungsausschuss in Mainz zu präsentieren. Am Ende dauerte sein Vortrag 75 statt 20 Minuten. Der Professor lehrt an der Akkon Hochschule in Berlin als Experte für Bevölkerungsschutz, Gefahrenabwehr und Krisenmanagement. Er hat in den vergangenen Wochen untersucht, wie das Krisenmanagement der Aufsichts- und Dienstleitungsdirektion (ADD) bei der Bewältigung der Flutkatastrophe funktionierte. Drei Tage nach der Flut hatte die Landesbehörde die Einsatzleitung vom Kreis Ahrweiler übernommen.

Der Berliner Bevölkerungsschutz-Experte Dominic Gißler hat der nach der Ahrtal-Flut eingerichteten Einsatzleitung zahlreiche Mängel bei der Arbeit bescheinigt.

Der Berliner Bevölkerungsschutz-Experte Dominic Gißler hat der nach der Ahrtal-Flut eingerichteten Einsatzleitung zahlreiche Mängel bei der Arbeit bescheinigt.

Foto: Bernd Eyermann

„Aus meiner Sicht als Gutachter, der sich viel mit Einsätzen beschäftigt, gehört dieser zu den strukturell und funktionell komplexesten, mit denen ich mich beschäftigt habe“, sagte Gißler. Er selbst sei nicht vor Ort gewesen, wodurch er objektiv und frei von traumatischen Erfahrungen berichten könne. In der Zusammenfassung seines Gutachtens stellte er fest, dass die Einsatzstruktur der Krisenstäbe an den Tagen nach der Flut im Ahrtal nicht deren Arbeit im Alltag entsprach. Führungskräfte seien teilweise selbst betroffen gewesen, die Gesamtsituation ein „Maximalereignis“. Die Einsatzkräfte des Verwaltungsstabs konnten laut Gißler nicht dem Alltag entsprechend arbeiten, was ihre Arbeit erschwerte.

Personalwechsel liefen nicht gut ab

Nach Angaben des Experten funktionierte der „Wechseltakt“ beim ADD nicht. Damit meint Gißler die Personalwechsel. „Wenn es einen Wechsel gibt, geht immer Wissen verloren“, sagte Gißler. Die Übergaben hätten das kollegiale Miteinander „nicht gerade begünstigt“. Ebenfalls zu Problemen bei der Einsatzleitung führte die Erwartungshaltung von außen. Nachgeordnete Stellen, wie zum Beispiel die Bürgermeister, seien unzufrieden gewesen, weil der Eindruck einer mangelhaften Unterstützung entstand. Insgesamt konnte Gißler in seinem Gutachten konstatieren, dass die Führung „nicht mängelfrei“ war. Dies bedeute nicht, dass sie „mangelhaft“ gewesen sei. Es sei aber in der Einsatzzentrale nicht das Potenzial aufgebracht worden, um eine Ordnung zu schaffen. Die Führung sei nicht mit der Komplexität des Ereignisses zurechtgekommen. Was der auslösende Faktor dafür war, konnte Gißler nicht abschließend feststellen.

Die ADD hatte drei Tage nach der Flut die Einsatzleitung vom Kreis Ahrweiler übernommen. Präsident Thomas Linnertz, der qua Amt nominell Chef der Einsatzleitung war, steht schon seit Monaten unter Druck, weil ihm gerade aus den Reihen der Ortsbürgermeister vorgeworfen worden war, man sei bei der Bewältigung der Katastrophe wochenlang auf sich allein gestellt gewesen. Die drei Oppositionsfraktionen, CDU, Freie Wähler und AfD, fordern schon länger den Rücktritt von Linnertz – auch weil seine Behörde auf einen Schadensfall wie die Flutkatastrophe im Ahrtal nicht vorbereitet gewesen sei.

Experte Gißler stellte fest: Durch das Ausfallen des Mobilfunknetzes und eigene Betroffenheit habe die ADD diese Katastrophe unter „ungünstigen Gesamtbedingungen“ habe meistern müssen. „Da sind Defizite entstanden, die die Effizienz verringert haben“, fasste Gißler zusammen. Er glaube nicht, dass man die Schuld einzelnen Personen zuordnen könne. Sie hätten teilweise Großartiges geleistet. Am Ende seines Vortrags wies er darauf hin, dass Bund und Länder dringend in Krisenstäbe und in die Ausbildung von Führungspersonal investieren sollten, insbesondere mit Blick auf die zunehmenden Unwetterkatastrophen, die der Klimawandel mit sich bringt.

Urlaub der früheren ADD-Vize wird Thema im Untersuchungsausschuss

Der USA-Urlaub der früheren Vizepräsidentin der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), Begoña Hermann, wird zum Thema im Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags zur Flutkatastrophe. Dazu wird im Rahmen der nächsten Sitzung am 21. April ein Abteilungsleiter der ADD als Zeuge vernommen, wie der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) vor Beginn der öffentlichen Sitzung am Freitagmorgen mitteilte. Der Ausschuss habe die Vernehmung beschlossen. CDU und Freie Wähler hatten beantragt, den ADD-Beamten zu laden.

Gegen die inzwischen pensionierte frühere ADD-Vize laufen ein Disziplinarverfahren und auch ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss. Hermann wird verdächtigt, noch während ihrer Dienstzeit im Juli 2021 kurz nach der Ahrflut einen dienstlichen Anlass vorgegeben zu haben, um für eine selbst gezahlte Privatreise in die USA gelangen zu können. Reisen dorthin waren damals aufgrund von Corona-Beschränkungen weitgehend untersagt.

Drei Tage nach der Flut in der Nacht vom 14. zum 15. Juli 2021 hatte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) die Leitung des Katastrophenschutzes vom Landkreis Ahrweiler übernommen. Die damalige Vizepräsidentin, die auch zuständig war für den Katastrophenschutz in der Landesbehörde, war vom 31. Juli bis 13. August 2021 in dem längerfristig geplanten und genehmigten Urlaub gewesen.

Behördenchef Thomas Linnertz hatte den USA-Besuch der Ex-Spitzenbeamtin laut ADD schon im Frühling 2021, also vor dem Ahr-Hochwasser mit mindestens 134 Toten, genehmigt. Er habe das Reiseziel gekannt, sei von einem Erholungsurlaub ausgegangen und habe von keinen weiteren Reisedetails Kenntnis gehabt, hatte die Behörde erklärt.

(ga/dpa)
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