NRW-Check zum Thema Kriminalität Verrohung lässt die Angst wachsen

Bonn · Ein Großteil der ­­Menschen in NRW sieht die Gesellschaft durch ­­Abstumpfung und Gewalt bedroht. Sorgen bereitet den Bürger aber auch die wachsende Kriminalität im Internet.

 Mehr als die Hälfte der Befragten hat Angst vor Internetkriminalität.

Mehr als die Hälfte der Befragten hat Angst vor Internetkriminalität.

Foto: dpa-tmn/Silas Stein

Es ist kurz nach 8 Uhr am vergangenen Montagmorgen am Essener Hauptbahnhof, als plötzlich ein Mann, der als kräftig beschrieben wird, beim Verlassen einer S-Bahn auf einen Zwölfjährigen zugeht und ihn unvermittelt mit der Faust in den Bauch schlägt. Die Mutter des Jungen wird zudem von dem Angreifer beleidigt, ehe er flüchtet.

Es sind Taten wie diese, die den Bürgern in Nordrhein-Westfalen zunehmend Angst machen: Die Verrohung der Gesellschaft treibt die Menschen um. Nur durch die Inflation fühlen sich die Bürger derzeit bei Fragen zur Inneren Sicherheit noch mehr bedroht, wie der „NRW-Check“, eine vierteilige Umfrage der nordrhein-westfälischen Tageszeitungen vor der Landtagswahl, belegt. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat dafür 2006 Wahlberechtigte in NRW zu verschiedenen Themen befragt.

Demnach werden Preissteigerungen und Inflation (88 Prozent), die Verrohung und Gewalt in der Gesellschaft (84 Prozent) sowie die soziale Ungleichheit (81 Prozent) am häufigsten als Bedrohung für die Innere Sicherheit genannt. Den Klimawandel halten 79 Prozent für bedrohlich, die Kriminalität und die wirtschaftliche Lage jeweils mehr als 60 Prozent. Terroranschläge und Arbeitslosigkeit hält jeweils etwa die Hälfte für Deutschland als bedrohlich. Der Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen wird hingegen am seltensten (34 Prozent) als eine Bedrohung wahrgenommen.

Die Polizei teilt die Sorge vor der zunehmenden Verrohung.  „Die nimmt tatsächlich seit Jahren immer weiter zu. Die Tatausführungen werden immer brutaler, die Anlässe immer nichtiger. Wir beobachten, dass ohne Rücksicht auf Verluste Gewalt angewandt wird“, sagt Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Aber bislang hat noch keiner richtige Lösungen für das Problem gefunden. Wichtig sind auf jeden Fall harte Strafen, die auch schnell erfolgen. Das hat abschreckende Wirkung“, so Rettinghaus.

Furcht vor Datenmissbrauch und dem grundsätzlichen Betrug im Internet

Forsa hat die Bereiche Kriminalität und Verrohung/Gewalt bei der Befragung getrennt. Auffällig: Die verschiedenen Altersgruppen schätzen die einzelnen Probleme im Bereich der Inneren Sicherheit zum Teil recht unterschiedlich ein. Demnach sehen ältere Menschen ab 60 Jahren in der Verrohung und Gewalt sowie in der Kriminalität ein größeres Bedrohungspotenzial für die Gesellschaft als es jüngere Menschen tun. Betrachtet man die Anhänger der einzelnen Parteien, dann zeigt sich zudem, dass die Wähler der AfD am häufigsten Kriminalität, Verrohung/Gewalt und Terror für bedrohlich empfinden. Gleichzeitig sehen die Anhänger der Grünen in der Kriminalität deutlich seltener eine Bedrohung für die Gesellschaft als die Anhänger der übrigen Parteien.

 Beim Thema Kriminalität fürchten sich die Menschen in NRW am meisten vor Datenmissbrauch und dem grundsätzlichen Betrug im Internet; 59 beziehungsweise 52 Prozent der Befragten haben Angst davor. Eine Sorge, die berechtigt ist, wie auch die aktuelle Kriminalitätsstatistik zeigt. So ist die Cyberkriminalität im vergangenen Jahr in NRW um 24 Prozent auf rund 30.000 Fälle gestiegen – und  hinzu kommt ein enormes Dunkelfeld.

Jeweils mehr als 40 Prozent gaben an, Sorge zu haben, einmal von Gewalttätigkeit und Körperverletzung, einem Wohnungseinbruch oder von Betrügereien betroffen zu sein. Vandalismus und Raubüberfälle machen jeweils jedem Dritten persönlich Angst. Opfer von Taschendiebstählen, Diebstahl aus dem Auto oder einem Autodiebstahl zu werden, das befürchten hingegen die wenigsten.

Knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent) gibt an, dass sie sich heute im Vergleich zu früher weniger sicher fühlen. 44 Prozent fühlen sich genauso sicher beziehungsweise unsicher, nur sechs Prozent fühlen sich sicherer. Überdurchschnittlich häufig berichten die Bewohner am linken Niederrhein sowie im Sauer- und Siegerland von einer Verschlechterung des Sicherheitsgefühls. Mit Abstand am häufigsten geben allerdings die AfD-Anhänger an, dass man sich heute weniger sicher fühlen könne als früher. Diese Einschätzung der Befragten deckt sich allerdings nicht mit der aktuellen Kriminalitätsstatistik. Denn demnach sind die Straßen so sicher wie zuletzt in den 1980er Jahren. Zudem gehen die Straftaten in NRW seit sechs Jahren kontinuierlich zurück.

Im eigenen Wohnort ist das Sicherheitsgefühl am größten

Am sichersten fühlen sich die Menschen dort, wo sie zu Hause sind. Eine große Mehrheit von 76 Prozent der NRW-Bürger sagt, dass sie sich in ihrem eigenen Wohnort sicher fühlen. Aber immerhin jeder Fünfte fühlt sie sich an seinem Wohnort weniger oder gar nicht sicher. Menschen, die in Städten leben, fühlen sich unsicherer als Landbewohner: Während Menschen im Sauer- und Siegerland sowie in Städten und Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern überdurchschnittlich häufig angeben, sich an ihrem Wohnort sicher zu fühlen, machen das Bewohner in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern deutlich weniger. Dass man sich am eigenen Wohnort weniger oder nicht sicher fühlen könne, äußern am häufigsten (45 Prozent) die AfD-Anhänger, was darauf hinweist, dass das subjektive Sicherheitsempfinden (ähnlich wie etwa die Angst vor Zuwanderung) nicht nur von objektiven Gegebenheiten, sondern auch von der persönlichen ideologischen Einstellung abhängt. „Dass sich die Menschen auf dem land sicherer fühlen als in der Stadt war schon immer so“, sagt Rettinghaus. „Auf dem Land kennt man sich untereinander besser und achtet mehr  aufeinander. In der Stadt ist es anonymer“, erklärt der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Aber natürlich muss man daran arbeiten. Das Sicherheitsgefühl muss auch in der Stadt da sein. Und da gehört auch eine intelligente Videoüberwachung in den Städten zu“, so Rettinghaus.

Für die meisten der befragten Menschen ist es für ein gutes Sicherheitsgefühl wichtig, dass ihre Stadt im Dunkeln ausreichend beleuchtet ist (92 Prozent). Fast ebenso wichtig ist auch ein gepflegter und übersichtlicher Eindruck eines Stadtteils (88 Prozent). Für 83 Prozent ist es wichtig, dass Polizisten in der Nähe oder schnell erreichbar sind. Eine große Mehrheit findet es wichtig, dass Geschäfte und Kioske geöffnet sind (69 Prozent) und dass möglichst viele Menschen auf der Straße unterwegs sind (60 Prozent).

Für eine Mehrheit von 57 Prozent trägt auch der Einsatz von Videoüberwachungskameras zu einem Gefühl der Sicherheit bei – vor allem in den großen Metropolen. Geöffnete Geschäfte und ein möglichst belebtes Straßenbild sind für Frauen noch wichtiger als für Männer, um sich im öffentlichen Raum in ihrer Stadt oder Gemeinde sicher zu fühlen.

Im Fall des Jungen, der von einem Unbekannten am Essener Bahnhof in den Bauch geschlagen worden ist, wertet die Bundespolizei die Aufzeichnungen aus den Videokameras am Hauptbahnhof aus, um weitere Hinweise auf den Täter zu bekommen. „Darum ist es wichtig, dass es an neuralgischen Plätzen Videoüberwachung gibt. Sie hilft dabei, die Täter schnell zu fassen“, sagt Rettinghaus.

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