Kommentar zu den Landtagswahlen im Osten Volkes Wille

Meinung | Berlin · Vor den beiden Landtagswahlen in einer Woche im Osten haben die Volksparteien über Monate zu spüren bekommen, dass das Volk mit ihnen ganz und gar nicht zufrieden ist, kommentiert GA-Korrespondent Holger Möhle.

 Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel in die Wahlurne.

Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel in die Wahlurne.

Foto: Michael Kappeler

Regierungsverantwortung kann Genugtuung sein, wenn es läuft. Und eine Last, wenn es nicht läuft. Vor den beiden Landtagswahlen in einer Woche im Osten haben die Volksparteien über Monate zu spüren bekommen, dass das Volk mit ihnen ganz und gar nicht zufrieden ist. Wer wie die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg seit beinahe 30 Jahren ohne Unterbrechung jeweils den Ministerpräsidenten stellt, ist in den Augen vieler Wählerinnen und Wähler für beinahe alle Fehlentwicklungen verantwortlich – manchmal auch fürs persönliche Schicksal.

Der Osten tickt auch drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer anders. Viele Verlierer der Wende, die durch Globalisierung und die immense Beschleunigung des gesamten (Arbeits-)Lebens durch die Digitalisierung weiter den Anschluss verloren haben, wollen den Regierenden nicht mehr vertrauen. Die rechte AfD ködert sie mit einfachen Antworten, einer vermeintlichen Sicherheit durch Rückkehr zum Nationalstaat und einer unverschämten Anleihe an die mutige Freiheitsbewegung der DDR-Bürger im Herbst 1989: Wir sind das Volk! Die Rechtspopulisten dürfen auf hohe Zustimmungswerte hoffen und würden damit die Regierungsbildung in Sachsen wie in Brandenburg massiv erschweren.

Vorsichtiger Stimmungswechsel

Bisher luden die Wähler in den beiden Bundesländern ihren Frust und Ärger bei den Regierungsparteien ab. In Sachsen konnte es der junge Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vielen Menschen nicht recht machen, obwohl er der erste Regierungschef im Freistaat überhaupt war, der sich direkt und konfrontativ der rechten Szene entgegenstellte. In Brandenburg steckte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Prügel ein, weil er in den Augen enttäuschter Bergleute den Kohlebergbau in der Lausitz verraten hat und zu wenig gegen Pendlerfrust wegen überfüllter Züge und ausgefallener Unterrichtsstunden getan hat.

Doch eine Woche vor den Wahlen deutet sich ein vorsichtiger Wechsel in der Stimmung an. Jeweils vier Prozentpunkte plus in Umfragen für die CDU in Sachsen und auch für die SPD in Brandenburg. Haben die Wähler vielleicht doch Angst vor dem Unberechenbaren, das eine hoch komplizierte Suche nach einer neuen Regierung mit sich bringen könnte? Sehnen sie sich doch nach der Sicherheit des Vertrauten? Die Verluste für CDU und SPD im Vergleich zu 2014 wären immer noch schmerzhaft, doch ihre Macht könnten sie gerade noch retten. Auch im Bund könnten beiden Parteien erst einmal durchatmen. Die nächste Groko-Krise wäre vertagt.

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