Bundestagswahl 2021 Wahlkampf ohne Merkel-Faktor

Analyse | Berlin · Seit dem rot-rot-grünen Bündnis in Bremen ist es aus mit dem sicheren Gefühl bei der Union, mit den Grünen im kommenden Jahr den Kanzler stellen zu können. Und für einen überzeugenden Lagerwahlkampf ist die FDP zu schwach.

 Aufbauarbeiten am CDU-Logo vor der Parteizentrale in Berlin: Tiefe Fallstricke für die Union.

Aufbauarbeiten am CDU-Logo vor der Parteizentrale in Berlin: Tiefe Fallstricke für die Union.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Wenn sich in diesen Tagen Schweißperlen auf der Stirn von Wahlkampfstrategen in CDU und CSU bilden, dann liegt das nicht nur am heißen August-Wetter. Es hängt auch an dem bangen Blick auf die Aussagekraft der momentan günstigen Umfragewerte, wonach derzeit 38 Prozent der Wähler ihr Kreuz hinter CDU oder CSU machen würden. Eine Warnung ließ CSU-Chef Markus Söder schon öffentlich werden: Diese Zustimmung sei auch auf die gute Arbeit von Angela Merkel im Kanzleramt zurückzuführen. Schon bei zurückliegenden Bundestagswahlen zog der Merkel-Faktor wiederholt mehr Stimmen als Programm und Grundaufstellung von CDU und CSU. Was der Wegfall dieses Erfolgsfaktors im Herbst des nächsten Jahres bedeutet, lässt sich nur erahnen. Und diese Ahnungen sind für die Union düster, zumal sie mit weiteren Komplikationen zusammentreffen.

Seit der Entscheidung der Bremer Grünen, nicht mit dem Wahlsieger CDU und der FDP zu regieren, sondern SPD und Linken zur Mehrheit für ein Linksbündnis zu verhelfen, ist auch ein für die Union zusätzliches Problem sehr real vorgeführt worden. Das heißt natürlich auch für andere Wahlen einschließlich der Bundestagswahl: Sind die Zahlen für Schwarz-Grün in den Umfragen auch noch so deutlich – am Ende könnte die Union als Wahlsieger und -verlierer zugleich dastehen. Wenn es ganz knapp auch für Grün-Rot-Rot reicht, wird in den Parteizentralen von CDU und CSU damit gerechnet, dass die Grünen dann die Linke-Option und ihre Zugriffschance aufs Kanzleramt wählen.

Die Bundestagswahl im September 2021 wird auch von der Stimmung in den vorangegangenen und eventuell parallel angesetzten Landtagswahlen mitbestimmt werden. Im März wählen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, im April folgt Thüringen, im Juni Sachsen-Anhalt, und für den Herbst stehen Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an. Wer sich die jüngsten Umfragen zu den Wahlabsichten bei diesen sechs Landtagswahlen ansieht, erkennt unschwer, dass in fünf davon Grün-Rot-Rot oder Rot-Grün-Rot zum Teil deutlich vor einer möglichen Alternative aus Union und FDP liegen.

Die Liberalen bilden das dritte Problem für die Union: Die greifbaren und die bestätigten Grün-Rot-Rot-Bündnisse führen zu der großen Wahrscheinlichkeit eines Lagerwahlkampfes. Nur – dazu bräuchte die Union ein Lager mit Perspektive. Mit einer FDP, die in mehreren Umfragen bei fünf Prozent gehandelt und daher leicht scheitern kann, ist das nicht zu stemmen.

Bei den Umfragen auf Bundesebene sehen in diesen Sommerwochen Allensbach, Emnid, Forsa, Infratest und Insa ein Bündnis von Union und FDP einen halben bis vier Prozentpunkte vor Grün-Rot-Rot. Allerdings reicht es in keinem Fall zu einer eigenen Mehrheit. Zudem steht die zwischen 5,5 und 6,5 Prozent eingepreiste FDP wenig verlässlich da. Die Forschungsgruppe Wahlen kommt sogar zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen. CDU, CSU und FDP haben bei ihr mit 43,0 Prozent genauso viel wie Grüne, SPD und Linke – wobei die FDP hier mit fünf Prozent auf der Schwelle zum Scheitern steht. Ein Lagerwahlkampf erscheint unter diesen Voraussetzungen wenig überzeugend.

Der langfristige Trend macht es für die Aussichten der Union nicht besser. Im Gegensatz zu früheren Lagerwahlkämpfen sind die Grünen seit ihren Regierungszeiten im Bund das frühere Schmuddelkind-Image für weite Teile der bürgerlichen Mitte losgeworden. Sie haben die Funktion des Korrektivs von der FDP der ersten Nachkriegsjahrzehnte übernehmen können. Niemand nimmt ihnen übel, dass sie mal mit der Union, mal mit Sozialdemokraten oder Linken regieren. Wo sie selbst einen konservativ geprägten Ministerpräsidenten stellen (wie in Baden-Württemberg) oder einen konservativ auftretenden der Linken unterstützen (wie in Thüringen), sind die Grünen bis tief ins bürgerliche Lager hinein wählbar.

Die Grünen müssen sich im Grunde auch wenig Sorgen machen, dass durch eine weiter schrumpfende SPD die Chancen auf ein Linksbündnis zerbröseln. Denn aus den Umfrage- und Wahlentwicklungen lässt sich eine grobe Faustformel herauslesen: Was die SPD verliert, gewinnen die Grünen, was die Grünen verlieren, gewinnt die SPD – das Reservoir für das linke Lage bleibt unterm Strich erhalten. Wenn also der Merkel-Faktor wegfällt und sich das Pendel um einige Prozentpunkte bewegt, ist im September 2021 in Berlin vieles möglich. Die glasklare Festlegung der SPD gegen jede Neuauflage einer großen Koalition macht den Spielraum für die Union jedenfalls deutlich kleiner.

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