Silvester in Köln War der Streit um Nordafrikaner nur ein Gespinst?

DÜSSELDORF · Die Polizei gibt überraschend bekannt, dass unter den in der Silvesternacht Kontrollierten offenbar so gut wie keine Marokkaner und Algerier waren.

Zwei Wochen lang hat halb Deutschland über die Kontrollen von Nordafrikanern in der Kölner Silvesternacht diskutiert. Ob es rechtens war, Menschen womöglich aufgrund ihrer äußeren Erscheinung zu überprüfen; ob die Polizei überhaupt öffentlich von „Nafris“ sprechen durfte, also von „Nordafrikanischen Intensivtätern“. Und dann hieß es am Freitag: Unter den Kontrollierten waren fast gar keine Nordafrikaner. Diese Kehrtwende in der polizeilichen Darstellung irritiert die Landespolitik.

„2000 nordafrikanisch beziehungsweise arabisch aussehende junge Männer“ sollen in der Silvesternacht zum Hauptbahnhof und zum Deutzer Bahnhof gekommen sein, erklärte gestern die Kölner Polizei. Die Zahl ist nicht neu, aber von „arabisch aussehenden Männern“ war bisher eigentlich nicht die Rede. Warum die Sicherheitsbehörden nun so großen Wert auf genau diese Beschreibung legen, wird klar, wenn man die Recherche-Ergebnisse einer polizeilichen Arbeitsgruppe „Silvester 2016“ betrachtet, die Polizeipräsident Jürgen Mathies jetzt vorstellte.

In 674 Fällen habe man gesicherte Personendaten, in 425 Fällen könne man auch etwas zur Nationalität der kontrollierten Menschen sagen. Das Erstaunliche: Nur 17 von ihnen sollen Marokkaner sein dazu kommen 13 Algerier. Die meisten hatten andere Nationalitäten: So wurden 99 Iraker, 94 Syrer und 48 Afghanen gezählt. War am Ende der Hype um die Nordafrikaner in der letzten Silvesternacht in Köln nur ein Gespinst?

Ein Kölner Polizeisprecher legte Wert darauf, dass die Angaben „vorläufig“ seien. Die Polizei ist nicht davon überzeugt, dass alle Kontrollierten, die nun als Syrer oder Iraker gelten, tatsächlich aus diesen Ländern stammen. Bei der Einreise hätten sich eben viele Nordafrikaner als Syrer oder Iraker ausgegeben. Dass es richtig war, die jungen Männer in der Kölner Silvesternacht 2016/17 zu überprüfen, daran will die Polizei nicht rütteln lassen. Viele von ihnen hätten sich aggressiv verhalten. Um die äußere Erscheinung sei es nicht gegangen.

Das NRW-Innenministerium wollte die neuen Zahlen gestern nicht kommentieren. „Der Bericht ist vorläufig, wie können daher noch keine Bewertung vornehmen“, sagte ein Sprecher. An der Rechtmäßigkeit der Polizei-Kontrollen könne aber nicht gezweifelt werden.

FDP-Innenexperte Marc Lürbke warnte: „Wenn bis heute nur bei 427 von 674 kontrollierten Personen die Nationalität festgestellt werden konnte, offenbart dies schonungslos die Ohnmacht des aktuellen Systems. Im Umkehrschluss heißt das: Auch nach über zwei Wochen konnten die Behörden die wahre Identität von 250 überprüften Personen nicht ermitteln“, sagte Lürbke.

Die Innenexpertin der Grünen im Landtag, Verena Schäffer, kritisierte die Polizei. Die habe „fälschlicherweise davon gesprochen, dass überwiegend Nordafrikaner unter den Kontrollierten seien. Dies hat dazu beigetragen, dass Vorurteile gegen diese Personengruppe bestätigt werden. Die Polizei hätte sich nicht zur mutmaßlichen Nationalität der Personen äußern dürfen, solange diese nicht sicher festgestellt ist.“

Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW, kritisiert die Kontrollen als Schnellschuss. „Die jetzige Korrektur zeigt doch auch, dass es oft eine subjektive Einschätzung ist, ob jemand auf den ersten Blick aus Nordafrika stammt oder nicht." Naujoks warnt davor, Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung unter Generalverdacht zu stellen. Sie stimmt zu, dass es Fälle gibt, in denen Nordafrikaner angeben, Syrer zu sein, weil sie sich davon eine größere Chance auf eine Aufenthaltsgenehmigung versprechen. Sie warnt aber davor, von diesen Fällen einen Gesamttrend abzulesen.

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