Bundestagswahl 2021 Warum die Grünen trotz verfehlten Wahlziels jubeln

Berlin · Sie waren angetreten, um Platz eins zu erobern. Doch am Wahlabend mussten die Grünen zeitweise sogar um Platz drei bangen – ein enttäuschendes Ergebnis gemessen an ihrem ursprünglichen Anspruch. Dennoch war der Jubel in der Berliner Columbiahalle groß, als die erste Prognose die Grünen weit vor der FDP sah.

 Seite an Seite: Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Robert Habeck kommen bei der Wahlparty der Grünen auf die Bühne.

Seite an Seite: Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Robert Habeck kommen bei der Wahlparty der Grünen auf die Bühne.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Um 18.47 Uhr ist es so weit: Annalena Baerbock und Robert Habeck, die beiden Parteichefs, kommen auf die Bühne, fast 400 Parteifreunde warten gespannt auf ihre Einordnung des Wahlergebnisses. „Das ist unser historisch bestes Ergebnis, aber wir können an diesem Abend nicht nur jubeln“, ruft Baerbock der Menge zu. Sie seien angetreten, um erstmals das Kanzleramt zu erobern. „Aber aufgrund eigener Fehler von mir hat es diesmal noch nicht gereicht.“ Ganz kurz ist es still im Saal. Dann ergreift Habeck das Mikrofon. Baerbock, die erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte d er Partei, habe einen „hochemotionalen Wahlkampf voller Auf- und Umschwünge“ gemeistert. „Du bist eine Kämpferin, ein Löwenherz!“ Die Menschen in der Halle skandieren „Annalena, Annalena!“

Die Grünen konnten ihr Ergebnis von 2017 (8,9 Prozent) zwar deutlich verbessern. Es ist aber dennoch enttäuschend für das Spitzenduo, das mit viel größeren Ambitionen angetreten war. Baerbock und Habeck hatten anfangs das Kanzleramt im Visier, wollten stärkste Kraft werden. Nach der Kür Baerbocks zur Kanzlerkandidatin im April schien die Rechnung vorerst aufzugehen: Zeitweise führten die Grünen mit bis zu 28 Prozent die Umfragen an. Dann aber häuften sich die persönlichen Fehler Baerbocks. Die 40-Jährige hatte einen Nebenverdienst nicht gemeldet, ihren Lebenslauf aufgehübscht. Als Plagiatsvorwürfe hinzukamen, rutschten die Grünen in den Umfragen ab.

Ein zäher Kampf um die Macht zeichnet sich ab

In der nächsten Bundesregierung sind sie aber mit hoher Wahrscheinlichkei t vertreten – in welcher Konstellation ist nach dem Wahlabend aber weiter offen. Lieblingspartner der Grünen wäre die SPD. Die Union sei jetzt besser in der Opposition aufgehoben, hieß es schon vor dem Wahlabend. Ein Ampelbündnis mit SPD und FDP würden Habeck und Baerbock einer Jamaika-Koaliton mit Union und FDP klar vorziehen – vorausgesetzt, die FDP würde mitmachen. Die zeigt aber eine klare Präferenz für Jamaika. Ein zäher Kampf um die Macht zeichnet sich ab — und um die Frage, wer sich als Königsmacher durchsetzt: FDP-Chef Christian Lindner oder Habeck. Denn bei den Grünen fällt nun Habeck eine Schlüsselrolle zu, nachdem Baerbock im Wahlkampf gepatzt hatte.

In der „Elefantenrunde“ von ARD und ZDF regt Lindner wenig später an, dass Grüne und FDP zuallererst miteinander sprechen sollten, um auszuloten, wo man zusammenkommen könne. Baerbock sieht das ähnlich: Die Logik, „dass da einer ist, der die anderen anruft“, teilten au ch die Grünen nicht. Sie macht in der Sendung einen ersten Schritt auf die FDP zu: Statt einer Solarpflicht auf allen Dächern könne es auch ein „Solar-Sonderausschreibungsprogramm“ geben. Lindner wiederum sagt, natürlich müsse die nächste Regierung ökologischer sein als die alte.

Wahlsieg angepeilt, aber deutlich verfehlt, rollen nun Köpfe? „Warum sollten wir das tun? Wir müssen doch möglichst stark in die Verhandlungen gehen“, sagt Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer auf die Frage, ob Baerbock sich womöglich zurückziehen werde. Nein, Baerbock werde nun zusammen mit Habeck das Sondierungsteam anführen, das mögliche Koalitionen ausloten werde, sagt auch Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin. Alles sei offen, am Ende auch wieder eine große Koalition.

Habeck ist trotz des verfehlten Wahlziels bester Dinge. „Wir nehmen dieses Wahlergebnis, wir stehen zusammen, wir führen gemeinsam“, betont er. Baerbock und er würden jetz t alles tun für eine „starke Klimaschutzregierung, wie sie Deutschland noch nie hatte“. Als die Menge wieder jubelt, sagt er noch scherzhaft zu Baerbock: „Du kannst jetzt stage diving machen!“ In die Menge springen und von ihr getragen werden, wie er selbst das auch schon getan hat. Doch Baerbock winkt ab.

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