Interview mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet „Was die Zukunft bringt, weiß niemand“

Düsseldorf · Das Bewusstsein für Geschichte prägt das Verständnis der Gegenwart, meint Armin Laschet. Im Interview unterstreicht der NRW-Ministerpräsident die klare Abgrenzung von der AfD, betont aber auch, dass die Rechtspopulisten nicht zu „Märtyrern“ gemacht werden dürften.

 Guter Dinge: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.

Guter Dinge: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Herr Ministerpräsident, waren Sie in Geschichte gut in der Schule?

Armin Laschet: Ja, war ich. Geschichte war mein Lieblingsfach. Ich hatte das als Leistungskurs und einen Lehrer, der größere geschichtliche Zusammenhänge vermitteln konnte.

Ich gebe Ihnen einen kleinen Test. Wann war die Schlacht von Issos?

Laschet: 3-3-3.

Genau, 3-3-3, bei Issos Keilerei, vor Christus. Wann war der Dreißigjährige Krieg, wenigstens so ungefähr?

Laschet: 1618 bis 1648.

Sehr gut. Seit wann gibt es NRW?

Laschet: Seit dem 23. August 1946. Ein Jahr später kam der Landesteil Lippe dazu. Da habe ich aber Glück mit Ihren Fragen.

Sollten Abiturienten diese Frage beantworten können? Gehört das Auswendiglernen von Jahreszahlen zum Unterricht?

Laschet: Ich finde schon, dass man wichtige Jahreszahlen und bedeutsame geschichtliche Wegmarken kennen sollte, weil man dadurch auch die Zeiträume erfassen und einordnen kann. Tatsächlich erlebe ich, dass selbst Abiturienten häufig ein sehr lückenhaftes Geschichtsverständnis haben. Als ich vor einiger Zeit hörte, dass Schüler aus Nordrhein-Westfalen bundesweit am wenigsten Geschichtsunterricht haben, war ich erschüttert. Beim Umstieg von G8 auf G9 haben wir bei den Lehrplänen eine Stunde mehr Geschichtsunterricht eingeführt. Das Bewusstsein für Geschichte prägt das Verständnis der Gegenwart. Das merken wir gerade jetzt, wenn Demokratie gefährdet wird.

Was meinen Sie mit: gerade jetzt?

Laschet: Wir haben in Thüringen erstmalig erlebt, wie ein Ministerpräsident mit den Stimmen von Extremisten in sein Amt gewählt wurde. Zu dieser Situation hätte es nie kommen dürfen. Nie dürfen Extremisten Einfluss auf die Bildung von Regierungen haben, nicht in den Ländern, nicht in der Bundesregierung.

Kann sich Geschichte wiederholen?

Laschet: Nein, aber Phänomene wiederholen sich. Das ist doch eine Lehre rund um den Holocaust-Gedenktag: Auschwitz wird sich nicht exakt wie unter den Nationalsozialisten wiederholen. Aber die Entrechtung der Juden begann 1933 und war die Folge einer schleichenden Entwicklung. Wenn die Falschen Macht im Staat gewinnen, können sich solche Phänomene wiederholen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir schleichendem Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft heute mit aller Deutlichkeit entgegentreten.

Bei den zwei Reichstagswahlen 1932 kam die NSDAP auf deutlich mehr als 30 Prozent, nun war sie die stärkste Partei. Die AfD ist nicht die NSDAP, aber in ihren Reihen machen viele die Demokratie verächtlich, die sie in Kommunalparlamente, alle 16 Landtage und den Bundestag getragen hat. Wie sollten wir mit den Feinden der Demokratie umgehen, wenn sie die Parlamente durchsetzen?

Laschet: Die NSDAP war stärkste Partei, aber hatte nie eine absolute Mehrheit. Das Grundgesetz zieht daraus Konsequenzen, die Machtfülle des damaligen Reichspräsidenten und die Notstandsgesetze von damals haben wir nicht. Die Demokratie war nicht wehrhaft, und auch das ist heute anders. Die Meinungsfreiheit beispielsweise findet ihre Schranken, wenn die Verfassungsordnung in Frage gestellt wird. Grundrechte können auch nicht mit Mehrheit abgeschafft werden. Der starke Föderalismus, also die Dezentralisierung von Macht, ist ebenfalls eine Lehre aus jener Zeit.

Auf die konkrete Frage haben Sie nicht geantwortet. Oder noch konkreter: Wie soll die Politik mit der AfD umgehen?

Laschet: Wenn AfD-Abgeordnete im Parlament sitzen, dann muss die Regierung, im Bund wie im Land, ihnen die Informationen zuleiten, die auch den anderen Fraktionen zustehen. Wir werden keine Märtyrer erzeugen. Eine Ausgrenzung wäre undemokratisch. Der demokratische Staat toleriert selbst extreme Auffassungen, soweit sie nicht die Verfassung verletzen. Aber in der Debatte müssen wir die Unterschiede herausarbeiten und sie vor allem bei den Sachfragen stellen!

Was halten Sie davon, ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten?

Laschet: Nichts. Ich erkenne aktuell keine Grundlage für einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht. Ich war selbst beim NPD-Verbot skeptisch. Die Debatte wurde damals mit großem Brimborium geführt, aber wir haben heute mehr Rechtsextremismus und rechte Gewalt als vorher. Die Akteure zu sehen ist besser, als wenn sie in irgendwelche Gruppierungen untertauchen und sich nicht mehr der Transparenz des Parteiengesetzes unterwerfen müssen.

Franz Josef Strauß sagte, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Was ist schiefgelaufen?

Laschet: Schwierige Frage. Es hat sie mit den Republikanern übrigens auch zu Strauß-Zeiten gegeben. Das Parteiensystem ist heute vielfältiger. Im Zuge der Krisen der vergangenen Jahre, angefangen bei der Finanzkrise, ist eine neue Partei entstanden, und die ist jetzt da. Dass die AfD bundesweit absehbar unter fünf Prozent fällt, halte ich für erstrebenswert, aber kurzfristig unwahrscheinlich, also müssen wir mit ihr umgehen und sie stellen.

Historische Werte der CDU sind überholt – unter der Führung der Bundeskanzlerin wurde unter anderem die Wehrpflicht abgeschafft, der Atomausstieg beschlossen, die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt. Wie sehr muss eine Partei ihren Wurzeln, ihrer Geschichte treu bleiben?

Laschet: Die Beispiele, die Sie nennen, berühren nicht alle gleichsam die Grundwerte der CDU. Eine Energieform ist kein Grundwert. Die Aussetzung der Wehrpflicht war eine Antwort auf das Ende des Kalten Krieges. Es gibt bei einigen eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, aber die ist immer abstrakt. Manche sagen, sie wollen wieder eine CDU wie unter Helmut Kohl, dabei hat er das Land stärker verändert als jeder Kanzler danach. Er hat die D-Mark abgeschafft und den Euro geschaffen. Er hat die Grenzen zu den europäischen Nachbarn geöffnet. Das war nicht Angela Merkel, das war Helmut Kohl.

Was beinhaltet diese Sehnsucht denn dann?

Laschet: Es ist jedenfalls nicht die Hinwendung zur Nation. Denn das verkörperte Helmut Kohl nun gerade nicht. Ihm ging es immer um Europa. Das war auch bei Konrad Adenauer so. Die Welt war damals geordneter, aber viele unserer heutigen Fragen waren auch noch nicht da.

Wie konservativ sind Sie selbst?

Laschet: Da gibt es kein Maßband, das man anlegen kann. Was ist denn eigentlich konservativ? Gutes bewahren und für Neues offen sein: Wenn das gemeint ist, bin ich konservativ. Das C steht für Christlich.

Die CDU steckt nach dem angekündigten Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer in einer historischen Zerreißprobe. Wie stellen Sie sich die Lösung vor, welche Rolle werden Sie dabei spielen?

Laschet: Die Ereignisse in und nach Thüringen haben viele Menschen in unserem Land aufgewühlt. Der Kurs der CDU ist klar. Die CDU ist seit Jahrzehnten ein verlässlicher Anker für eine wehrhafte Demokratie, eine bürgernahe Politik, für Weltoffenheit und die europäische Orientierung. Die Geschlossenheit innerhalb der CDU und der Zusammenhalt mit der CSU sind jetzt wichtiger denn je. Die CDU in Nordrhein-Westfalen mit ihrer breiten programmatischen Aufstellung und tiefen regionalen Verankerung wird ihren Beitrag leisten.

Wie erstrebenswert wäre es für Sie, als Bundeskanzler in die Geschichte einzugehen?

Laschet: (lacht) Jetzt muss ich jedes Wort wägen. Nun gut: Es gibt in der Politik unterschiedliche Zeiten und Positionen, in denen man Verantwortung übertragen bekommt und etwas gestalten kann. Bezogen auf meine Person: Als junger Mensch hätte ich nie gedacht, einmal Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu werden. Man sollte das gut machen, für das man Verantwortung trägt. Was die Zukunft bringt, weiß niemand.

In Adenauers Fußstapfen zu folgen, wäre aber schon schön, oder?

Laschet: Schluss jetzt.

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