Folgen von Corona Was könnte das Kontaktverbot für die Psyche bedeuten?

Bonn · Folgen des Kontaktverbots: Experten befürchten in der Corona-Krise mehr psychische Erkrankungen und Suizide von depressiven Menschen. Was hilft Betroffenen?

 Experten befürchten, dass Menschen verstärkt unter dem Kontaktverbot leiden könnten.

Experten befürchten, dass Menschen verstärkt unter dem Kontaktverbot leiden könnten.

Foto: dpa/Martin Schutt

Kontaktverbot, Quarantäne, Homeoffice auf engem Raum mit der Familie: Die Coronakrise ist belastend für alle, und niemand kann wirklich einschätzen, wie lange die Einschränkungen dauern werden. Die psychische Gesundheit von Bürgern sei gefährdet, warnt Iris Hauth, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. „Andauernde Gefühle von Unsicherheit, Angst und Isolation erzeugen Stress und sind ein Risikofaktor für Gesunde,“ sagt die ärztliche Direktorin der Alexianer St. Joseph Klinik in Berlin unserer Redaktion.

Mögliche Folgen: Schlafstörungen, Angststörungen, depressive Gefühle. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie rechnet auch mit einer neuen Herausforderung für ihren Fachbereich: „Ehemalige schwer betroffene Corona-Patienten, Ärzten und Pflegekräfte sind in und nach der Krise möglicherweise traumatisiert.“

Psychische Erkrankungen können sich verschlimmern

Verschlechtern könnte sich Hauth zufolge auch der Zustand von Menschen, die bereits psychisch erkrankt sind. Studien zufolge leiden zehn Millionen Menschen in Deutschland im Verlauf eines Jahres unter einer Angststörung. Mehr als fünf Millionen Menschen sind an einer Depression erkrankt. Etwa eine Million Patienten erlebt einmal im Leben eine Psychose. „In den Therapien arbeiten wir daran, dass Patienten aktiv ihre Tagesstruktur gestalten und unter Menschen gehen“, sagt Hauth.

In der Coronakrise sind viele Patienten nun isoliert und fühlen sich einsam. Ein weiteres Problem ist, dass viele Versorgungsangebote entfallen. Psychiatrische Kliniken verschieben planbare Behandlungen, um eine Versorgung von Menschen mit akuter Krise sicherstellen zu können. Wer seit Längerem einen Klinikaufenthalt geplant hat, muss also unter Umständen warten. Auch Tageskliniken reduzieren ihr Angebot.

„Die Versorgungsqualität geht gerade in den Keller“

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe befürchtet einen Anstieg von Suiziden, wenn depressive Patienten in der Coronakrise nicht ausreichend betreut werden. „Die Versorgungsqualität geht gerade in den Keller“, sagt der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Professor Ulrich Hegerl. „Das könnte Leben kosten. Die Zahl der Suizide könnte steigen.“ Depressionen seien jährlich die Ursache für die meisten Suizide. „Durch die krankheitsbedingte Interesse- und Antriebslosigkeit fällt es sehr schwer, den Tag zu strukturieren, mit der möglichen Folge, dass die Betroffenen auch tagsüber grübelnd im Bett liegen“, sagt Hegerl.

Gesunde Menschen sind weniger gefährdet

Dass die Coronakrise bei Gesunden eine Depression hervorruft, glaubt er nicht. „Eine Depression ist eine eigenständige, oft lebensbedrohliche Krankheit, die weniger Folge schwieriger Lebensumstände ist, als viele glauben.“ Die Deutsche Depressionshilfe empfiehlt Betroffenen, in Zeiten häuslicher Quarantäne aktiv zu bleiben und einen Tagesrhythmus zu pflegen. Schlafzeiten sollten nicht verlängert werden, weil zu viel Schlaf eine Depressionsschwere erhöhen kann.

Besuche in einer psychotherapeutischen Praxis sind nach wie vor möglich. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die gesetzlichen Krankenkassen haben bis Ende Juni den Zugang für Videosprechstunden erlaubt. So können Therapien auch fortgesetzt werden, wenn sich der Therapeut und der Patient in Quarantäne befinden. Auch die Suche nach einem Therapieplatz muss nicht erfolglos bleiben: Seit Kur­zem dürfen Therapeuten auch Erstgespräche per Videoanruf führen.

Helfen können auch digitale Angebote wie fachlich moderierte Online-Foren. Als Reaktion auf die Krise hat die Depressionshilfe für sechs Wochen den Zugang zu „iFightdepression“ freigeschaltet. Das kostenfreie Selbstmanagementprogramm setzt normalerweise die Begleitung durch einen Arzt voraus. Es eignet sich für Menschen ab 15 Jahren mit leichten Depressionsformen. Interessenten können sich unter ifightdepression@deutsche-depressionshilfe.de anmelden.

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