Interview mit dem Bundesfinanzminister Was sich Olaf Scholz für seine Kanzlerkandidatur erhofft

Interview | Berlin · Der SPD-Kanzlerkandidat, Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz spricht im Interview über Unterschiede zu Angela Merkel, Pläne für die Kanzlerschaft, neue Schulden und warum er nicht mehr SPD-Vorsitzender werden will.

 Olaf Scholz (SPD) möchte der nächste Bundeskanzler werden.

Olaf Scholz (SPD) möchte der nächste Bundeskanzler werden.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Herr Scholz, Sie wurden lange als „Scholzomat“ bezeichnet, fielen zuletzt aber mit Worten wie „Wumms“ und „Bazooka“ auf. Haben Sie einen Coach dafür?

Olaf Scholz: Nein, für sowas brauche ich keinen Coach.

Und die Begriffe haben Sie sich selbst ausgedacht?

Scholz: Die Corona-Krise verunsichert die Bürgerinnen und Bürger. Viele haben sich seit Beginn gefragt, wie es weitergeht mit ihren Arbeitsplätzen, dem eigenen Leben und ihren Familien und Freunden. Deshalb ist Klarheit wichtig. Die Klarheit darüber, wie wir uns den Umgang mit der Pandemie vorstellen und dass wir unser Land mit einem Stabilisierungsprogramm und mit einer großen Konjunkturspritze sicher durch die Krise steuern. Und eine solche Ansage wird besser verstanden, wenn sie eingängige Begriffe wählt.

Während bei der SPD weitgehend Geschlossenheit demonstriert wird, herrscht bei der Union in der Führungsfrage noch Chaos...

Scholz: Tja.

...welche Chance erwächst daraus für Sie als Kanzlerkandidat?

Scholz: Das Rennen ist offen. Wer von den Wählerinnen und Wählern ein Mandat haben will, dieses Land als Kanzler zu regieren, muss sich insbesondere der Frage stellen, ob ihm zugetraut wird, eine unvorhergesehene Krise zu meistern. Denn in der Regel prägen Ereignisse eine Legislaturperiode, die zuvor im Wahlkampf nicht absehbar waren. Hinzu kommt diesmal: Erstmals seit 1949 kandidiert die Amtsinhaberin nicht erneut für die Kanzlerschaft. Ich trete an –  als Vizekanzler, als Bundesfinanzminister, als früherer Bundesarbeitsminister und Erster Bürgermeister Hamburgs verfüge ich über viel Regierungserfahrung.

Was werden Sie anders machen als die Kanzlerin?

Scholz: Darum geht es nicht. Es geht darum, das Richtige für die Zukunft unseres Landes zu tun. Und da gibt es drei Themen, die ich für die SPD und mich sehe. Erstens will ich eine Gesellschaft, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist und die nicht in Gruppen zerfällt. Es ist seltsam, wenn man den Corona-Helden samstags applaudiert, ihnen von Montag bis Freitag aber niedrige Löhne zahlt. Gerechte Löhne und gute Bildungschancen sind Ausdruck von Respekt. Zweitens stehe ich für ein Zukunftsprogramm. Wir müssen jetzt die technologischen und wirtschaftlichen Weichen stellen, um unsere Industrie zu modernisieren und den Klimaschutz konsequent voranzubringen. Drittens plädiere ich für ein souveränes und solidarisches Europa, damit wir in dieser Welt nicht herumgeschubst werden. Um all das geht es.

Mal angenommen, Sie werden Kanzler. Gehören dann Kanzlerschaft und SPD-Vorsitz in eine Hand?

Scholz: Klares Nein. Ich arbeite sehr gut mit den Parteivorsitzenden zusammen, genauso wie mit dem Fraktionschef und dem Generalsekretär. Und das soll auch nach der Bundestagswahl so bleiben.

War es ein Fehler, nach Bekanntwerden des Wirecard-Skandals im Februar 2019 nicht stärker auf die Überprüfung des Konzerns zu dringen?

Scholz: Die Bafin hat sofort im Februar 2019 die Überprüfung des Konzerns eingeleitet und die dafür zuständige Bilanzpolizei, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, damit beauftragt, genau wie es gesetzlich für einen solchen Fall vorgesehen ist. Viele Jahre hat das System der doppelten Prüfung von DPR und Bafin im Übrigen nach Meinung fast aller gut funktioniert. Bei Wirecard scheinen Bilanzen massiv manipuliert worden zu sein mit einem sehr hohen Maß an krimineller Energie. Wir müssen davon ausgehen können, dass Wirtschaftsprüfer, die viele Leute mit hohen Tagessätzen beschäftigen, Unternehmen wie Wirecard ausreichend kontrollieren. Jetzt brauchen wir schärfere Regeln, erste Vorschläge dafür habe ich bereits vor Wochen gemacht. Wir sollten uns aber auch mit den neuen Regeln nicht der Illusion hingeben, dass Fälle wie Wirecard nie wieder passieren können.

Sie haben angekündigt, die Schuldenbremse auch 2021 auszusetzen, obwohl Sie noch gar nicht wissen, wie sich die Steuereinnahmen entwickeln. Warum sind Sie so vorgeprescht?

Scholz: Die Corona-Krise ist eine außerordentliche wirtschaftliche Herausforderung. Wir können mittlerweile annehmen, dass wir durch unser schnelles staatliches Handeln eine bessere ökonomische Entwicklung haben als wir befürchten mussten. Vieles deutet darauf hin, dass wir es geschafft haben, die Volkswirtschaft damit zu stabilisieren.

Sie haben aber im Haushalt noch eine Rücklage von 48 Milliarden Euro und andere Finanzpolster.

Scholz: Wir dürfen nicht alles, was wir jetzt mit unserem Stabilisierungsprogramm und den Konjunkturmaßnahmen stützen, wieder kaputtmachen, indem wir plötzlich auf die Bremse treten. Wir brauchen Kraftreserven für länger. Natürlich muss es unsere Perspektive sein, dass wir ab 2022 wieder Haushalte aufstellen, die den grundgesetzlichen Vorgaben für normale Zeiten entsprechen.

Das schaffen Sie auch, wenn Sie die überschuldeten Kommunen entschulden?

Scholz: Es ist unverändert notwendig, dass wir die am stärksten verschuldeten Kommunen in Deutschland entlasten, indem der Bund und das jeweilige Land die Altschulden übernehmen. Wir müssen diesen Städten und Gemeinden Zukunftsperspektiven schaffen und für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland sorgen.

Wird die Senkung der Mehrwertsteuer über das Jahresende hinaus verlängert?

Scholz: Nein. Wir haben die Mehrwertsteuer befristet bis Ende dieses Jahres gesenkt, und das war auch gut so. Dadurch erzeugt sie den maximalen konjunkturellen Effekt. Weil die Steuersenkung unerwartet kam, im Volumen hinreichend groß war und weil sie befristet ist. Wir wollen ja, dass niemand seine Kaufentscheidung wegen der Krise hinausschiebt.

Aber was soll denn Anfang 2021 den Schub bringen?

Scholz: Ab 2021 kommt zum Beispiel die Abschaffung des Solis für 90 Prozent der Steuerzahler und eine weitere Kindergelderhöhung um 15 Euro. Das sind gute Signale in einer wirtschaftlich schwierigen Situation.

Sind Sie auch für eine Vier-Tage-Woche mit teilweisem Lohnausgleich?

Scholz: Die Vorschläge der IG Metall beziehen sich darauf, die notwendigen Umstrukturierungen in einer sehr leistungsfähigen Industriebranche gemeinsam mit den Beschäftigten zu erreichen. Das ist doch ein sehr plausibler Ansatz.

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