Gastbeitrag vom Generalsekretär der Welthungerhilfe Mathias Mogge: „Zusätzliche Kredite unerlässlich“

Exklusiv | Bonn · Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, schreibt in einem Gastbeitrag über die Folgen der Corona-Krise auf die Länder des Südens. Seine Organisation befürchtet, dass es dadurch massive Rückschläge beim Kampf gegen den Hunger geben wird.

 Besuch bei einem Bewässerungsprojekt in Mali: Mathias Mogge im November 2018 in dem Dorf Lattakaf.

Besuch bei einem Bewässerungsprojekt in Mali: Mathias Mogge im November 2018 in dem Dorf Lattakaf.

Foto: DanielPilar/Welthungerhilfe/Daniel Pilar

„Die Kombination von Covid-19, den Heuschrecken, der in einigen Regionen ausgebrochenen Cholera-Epidemie, den Millionen binnenvertriebener Menschen sowie der Aufnahme von zirka einer Million Flüchtlinge aus benachbarten Krisenregionen stellt Äthiopien vor Herausforderungen, die man sich selbst in gut entwickelten Ländern kaum vorstellen will.

Die Zeit nach Corona bedeutet für Millionen Familien die Rückkehr in die Zeit des normalen Leidens.“ Diese aktuelle Beschreibung unseres Landesdirektors aus Addis Abeba ist eine gute Zusammenfassung der Lage in vielen Ländern des Südens.

Die Mehrzahl der Staaten leidet unter Wirtschaftskrisen, Dürren oder Überschwemmungen als Folge des Klimawandels, maroden Gesundheitssystemen oder bewaffneten Konflikten. Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Beschleuniger der bisherigen Probleme.

Hyperinflation und Dürreperioden gab es schon vor Corona

In Simbabwe etwa ist ein Drittel der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, weil die Wirtschaftskrise mit einer Hyperinflation und mehrere Dürreperioden das Land ruiniert haben. In den Kriegsgebieten von Syrien, dem Jemen oder dem Südsudan gibt es zwar bisher nur wenige bestätigte Corona-Fälle, aber Millionen Menschen, die auf Hilfe von außen angewiesen sind, um zu überleben.

Eine starke Ausbreitung des Virus würde insbesondere in den dicht besiedelten Flüchtlingslagern oder informellen Camps sehr viele Menschenleben kosten.

Die Familien leben auf engstem Raum und Seife und fließendes Wasser sind kaum vorhanden. Die Gesundheitssysteme sind bereits jetzt in vielen Ländern in einem katastrophalen Zustand. In Simbabwes Hauptstadt Harare gibt es zwei Beatmungsgeräte für 1,5 Millionen Einwohner.

Die Ärmsten sind besonders schwer getroffen

Besonders gravierend sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Die Ärmsten sind überproportional von den Ausgangssperren und der Unterbrechung der Lieferketten betroffen. Insbesondere in den Städten kaufen die Menschen Lebensmittel auf den Märkten oder Geschäften. Die globale Rezession trifft ihre Einkommensverhältnisse sehr hart.

Sie verlieren ihr tägliches Einkommen und haben keine soziale Absicherung. Kurzarbeitergeld gibt es dort nicht. Die Schließung der lokalen Märkte führt in Kenia, Malawi oder Burkina Faso dazu, dass die Kleinbauern ihre Produkte nur noch eingeschränkt verkaufen und Nahrungsmittel erwerben können.

Weniger Wachstum lässt die Zahl der Hungernden steigen

Noch sind die Preise für Grundnahrungsmittel weltweit auf einem niedrigen Niveau, aber in einigen Ländern verteuert sich bereits Mehl – mit verheerenden Folgen für die Ernährungslage.

 Laut einer aktuellen Studie des Ifpri-Instituts in Washington (International Food and Research Institut) könnte ein Prozent weniger Wirtschaftswachstum die Zahl der Armen und Hungernden weltweit um zwei bis drei Prozent erhöhen.

Die Vereinten Nationen befürchten, dass sich die Zahl der akut vom Hunger bedrohten Menschen in diesem Jahr durch die Folgen der Covid-19-Pandemie auf mehr als 260 Millionen verdoppelt.

Für Tagelöhner auf dem Land ist Homeoffice keine Alternative

Homeoffice ist für die Mehrheit der Weltbevölkerung keine Option. Insbesondere die Ärmsten haben ihre körperliche Arbeitskraft als einzige Einkommensquelle. Sie arbeiten als Tagelöhner auf den Feldern, als Arbeiter in Fabriken oder als Haushaltshilfen. Auch im informellen Sektor, der in den Ländern des Südens einen großen Arbeitsmarkt darstellt, werden zuerst flinke Hände und starke Rücken eingesetzt. Dies gilt auch für die Wanderarbeiter, die nun wieder nach Hause zurückkehren. Thailand etwa hat Tausende Männer aus Myanmar heimgeschickt.

Folgen der Pandemie müssen abgefedert werden

Gleichzeitig führen die Ausgangssperren und anderen Beschränkungen dazu, dass staatliche Sozialprogramme nur eingeschränkt funktionieren. In Indien sind Millionen Familien auf Nahrungsmittelverteilungen angewiesen. Die Regierung versucht mit staatlichen Gemeinschaftsküchen die größte Not zu lindern.

Die weltweiten Schulschließungen bedeuten, dass 370 Millionen Kinder und Jugendliche keine warme Mahlzeit mehr bekommen. Die Vereinten Nationen haben zusammen mit ihren Partnern bisher für diese einzige gesunde Mahlzeit am Tag gesorgt. Die Chancen, sich mit Covid-19 anzustecken sind bei einem mangelernährten Kind aber höher als bei einem gesunden. Auch die wichtigen Impfprogramme sind unterbrochen.

Auch die Länder des Südens brauchen einen Rettungsschirm

Wir befürchten, dass es durch die Corona-Krise massive Rückschläge beim Kampf gegen den Hunger geben wird. Die Kollegen aus unseren Projektländern berichten, dass die Ausgangssperren und die Unterbrechung der Lieferketten Ärmste besonders treffen.

Auch die Länder des Südens brauchen einen Rettungsschirm, um die Folgen der Pandemie abzufedern. Einige Regierungen haben in der Ebolakrise 2014-2016 Erfahrungen gemacht, die ihnen heute helfen. Sierra Leone und Liberia haben sehr schnell reagiert und die Menschen sind mit Kontaktbeschränkungen und verstärkten Hygieneregeln vertraut.

Südsudan oder Burkina Faso haben frühzeitig Ausgangssperren verhängt und Grenzen geschlossen, um die Ansteckungsraten zu vermindern. In Äthiopien hat die Regierung ein Covid-Notprogramm beschlossen, um bis zu 15 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen und die medizinische Versorgung in den ländlichen Gebieten zu verbessern.

Die Bemühungen der einzelnen Länder müssen unterstützt werden. Dafür sind zusätzliche finanzielle Programme und Kredite unerlässlich, um die bisherigen Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit nicht zu gefährden.

Die Solidarität der Weltgemeinschaft wird sich auch im Umgang mit Covid-19 und seinen Folgen auf die Länder des Südens messen lassen.

Es ist ein erstes positives Zeichen, dass die Schuldendienste für die ärmsten Länder ausgesetzt wurden. Das neue Reformprogramm des BMZ sollte den Fokus klar auf die Hunger- und Armutsbekämpfung legen.

Welthungerhilfe hat ihre Arbeit an die veränderte Lage angepasst

Gerade die ärmsten Länder sind von Krisen wie der aktuellen Pandemie stark betroffen und sollten daher nicht allein gelassen werden. Die Auswahlkriterien für die zukünftige Zusammenarbeit müssen transparent sein, damit nicht der Eindruck entsteht, dass vor allem die Interessen deutscher Investoren oder Sicherheitspolitik berücksichtigt werden.

Die Welthungerhilfe hat ihre Arbeit an die veränderte Lage angepasst und unterstützt weltweit Hygienemaßnahmen sowie die Instandsetzung von Wasserpumpen und Toiletten.

Außerdem reagieren die Länder auf die konkreten lokalen Bedürfnisse: In Pakistan und Kenia erhalten Haushalte, die unter Quarantäne stehen, Lebensmittel, in Liberia unterstützen wir beim Bau von Quarantäne-Zentren auf dem Land und in Indien verteilen unsere lokalen Partner Nahrungsmittel an Wanderarbeiter, die ohne Einkommen auf den Straßen gestrandet sind.

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