Prozess in Köln Wenn Autos zu tödlichen Waffen werden

Köln · Ein Fall, der für Entsetzen sorgte: Zwei Männer rasen durch Köln, bei einem Unfall stirbt eine junge Radfahrerin. Nun müssen sich die Männer vor Gericht verantworten.

 Angeklagt: Erkan F. (li.) und Firat M. (vorne).

Angeklagt: Erkan F. (li.) und Firat M. (vorne).

Foto: Nabil Hanano

Zwei junge Männer rasen in PS-starken Autos durch Köln, lassen vor roten Ampeln die Motoren aufheulen, geben bei grün Vollgas. In einer Kurve verliert einer von beiden wegen der hohen Geschwindigkeit die Kontrolle, sein Wagen prallt gegen den Bordstein, gerät ins Schleudern. Das Fahrzeug erfasst eine junge Radfahrerin, die auf dem Heimweg ist. Die 19-Jährige wird in die Büsche geschleudert. Später erliegt sie ihren schweren Verletzungen.

Dies ist, in nüchternen Worten, der Fall, der seit Mittwoch vor dem Kölner Landgericht verhandelt wird. Auf der Anklagebank der 17. großen Strafkammer: Erkan F. (23) und Firat M. (22), beide in Köln geboren, aber türkische Staatsbürger.

Der Fall hatte im April des vergangenen Jahres weit über die Kölner Stadtgrenzen hinaus für Entsetzen gesorgt. Der sinnlose Tod der jungen Frau auf dem Radweg der Auenstraße war der vorläufige Tiefpunkt in einer Reihe von schweren Raserunfällen in ganz Deutschland (siehe Chronologie). Eine Gemeinsamkeit der Fälle: Die jungen Männer am Steuer der Unfallfahrzeuge rasten mit Vollgas durch belebte Innenstädte, ohne auf andere Verkehrsteilnehmer, Fußgänger oder Radfahrer Rücksicht zu nehmen.

Zu dieser Raserszene gehörten in Köln nach Erkenntnis der Polizei auch die nun angeklagten Erkan F. und Firat M. Ziel ihres mörderischen Geschwindigkeitsrausches war ein polizeibekannter Treffpunkt der Tuning- und Raserszene am Kölner Tanzbrunnen, dem messenahen Konzertgelände am Ufer des Rheins.

Vor dem Landgericht sitzen sie nun den Eltern der 19-jährigen Miriam S. gegenüber, der jungen Frau, die an jenem verhängnisvollen Apriltag ihr Leben ließ. Der 23-Jährige bedeckt seine Augen mit Prozessakten. „Die Eltern sitzen hier nicht als Racheengel“, sagt ihr Rechtsvertreter Bernd Neunzig. „Auch das höchste Urteil bringt den Eltern nicht die Tochter zurück.“

F.'s Anwalt Michael Biela-Bätje verliest zum Auftakt eine Erklärung seines Mandanten. „Ich denke jeden Tag an den Unfall. Es tut mir unendlich leid, dass durch mein Verhalten ein Mensch gestorben ist“, lässt Erkan F. mitteilen. „Ich weiß, dass ich für mein Verhalten einzustehen habe.“ F. steht im Mittelpunkt des Prozesses, weil es sein außer Kontrolle geratener BMW war, der Miriam S. auf dem Radweg traf und tödlich verletzte.

Der Rewe-Lagerarbeiter, der nach eigener Aussage ein Studium an der Fachhochschule Gummersbach plante, hatte den Wagen erst kurz zuvor gebraucht gekauft, für 3000 Euro. Bei den Behörden ist F. mehrfach aufgefallen: Eine Jugendstrafe wegen Einbrüchen in Netto-Märkte in Euskirchen und Weilerswist. Weil er im Düsseldorfer Rheinufertunnel während der Führerscheinprobezeit mit 107 statt der vorgeschriebenen 70 km/h unterwegs war, musste er die Lizenz einmal abgeben.

Nun betont er, dass er sich mit Firat M. nicht bewusst zu einem Rennen verabredet habe. Die beiden, nicht befreundet, aber bekannt schon seit der Grundschule, seien sich eher zufällig in ihren Autos auf der Straße begegnet. Wobei der Jüngere der beiden im Fahrzeug seines Vaters unterwegs war, einem Mercedes SL Cabrio. M. tritt selbstsicherer auf, sagt später aus, dass er nach dem Unfall „unverzüglich“ die Polizei gerufen und sich um die verletzte Radfahrerin gekümmert habe.

Die Beamten, die an den Unfallort herbeigeeilt waren, hatten das Gegenteil berichtet. Beide Fahrer hätten auf die Tragödie teilnahmslos reagiert, das Opfer sei ihnen gleichgültig gewesen. Nun gibt der 22-Jährige an, unter Schock gestanden zu haben. Außerdem habe die Polizei „sehr viel Druck gemacht“. Ein Passant habe ihn als „Drecksausländer“ beschimpft. Und nein, zu einem Rennen seien er und Erkan F. nicht verabredet gewesen. Auch M. musste – neben anderen Verkehrsvergehen – schon einmal seinen Führerschein abgeben: Nahe Marburg wurde er auf einer Landstraße mit 158 km/h geblitzt.

Unter den Zuschauern sitzt neben Angehörigen der Angeklagten und des Opfers auch Rainer Fuchs. Der Polizeihauptkommissar ist Leiter der Ermittlungsgruppe „Rennen“, die die Kölner Polizei nach der Serie schwerer Raserunfälle im vergangenen Jahr eingerichtet hatte. Ja, man mache Druck auf die Szene, sagt Fuchs. 460 Fahrverbote hätten seine Beamten erwirkt, 70 illegale Rennen angezeigt, 40 Mal standen Beamte bei bekannten Rasern auf der Matte, um ihnen ins Gewissen zu reden.

Was die Wirksamkeit solcher „Gefährderansprachen“ angeht, ist er skeptisch: „Das kommt bei denen nur selten an“, sagt Fuchs. „Die identifizieren sich über ihre Autos. Die Autorität der Polizei akzeptieren sie nicht.“

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