Grenzwerte im Straßenverkehr Werte der Messstationen müssen streng ausgelegt werden

Brüssel/Luxemburg · Ein Gutachten von Generalanwältin Juliane Kokott für das höchste EU-Gericht besagt: Die Grenzwerte der Messstationen müssen streng ausgelegt werden. Ein Sieg für die Befürworter von Fahrverboten.

 Geräte für die Probennahme von Feinstaub und Stickoxiden in Stuttgart.

Geräte für die Probennahme von Feinstaub und Stickoxiden in Stuttgart.

Foto: dpa

Das Gutachten ist unmissverständlich und lässt keinen Spielraum: Die Richtlinie der EU in der jüngsten Fassung von 2015 habe das Ziel, „die menschliche Gesundheit zu schützen“. Deshalb müssten die von der Gemeinschaft vereinbarten Grenzwerte für Stickoxid, Schwefeldioxid, Feinstaub mit einem Durchmesser von zehn und 2,5 Mikrometern (ein Millimeter hat 1000 Mikrometer) sowie Blei, Benzol und Kohlenmonoxid strikt eingehalten werden. Das Gutachten gehört zu einem Verfahren, das gerade am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg läuft. Generalanwältin Juliane Kokott (61), eine deutsche Juristin, hat es ausgearbeitet und am Donnerstag vorgestellt. Bis zum endgültigen Urteil wird es noch Wochen oder Monate dauern. Dabei sind die Richter frei, die Ausarbeitungen der Generalanwälte zu beachten oder nicht – in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle folgen sie allerdings den Empfehlungen. In diesem Fall auch?

Die deutsche Debatte um Feinstaub und Fahrverbote in den Innenstädten könnte dann eine entscheidende Wende nehmen. Schließlich hatten die Unionsparteien in Berlin, aber auch die Christdemokraten im Europäischen Parlament in den vergangenen Wochen versucht, die Standorte der Messstationen auf ihre Eignung hin zu hinterfragen und auch den Sinn punktueller Messungen gerade an besonders verkehrsträchtigen Straßen angezweifelt.

Gutachten weist Kritik zurück

Das Gutachten weist solche Kritik zurück. Denn Kokott stellt fest: Grundlage für Maßnahmen zur Luftreinhaltung sollen die Ergebnisse der einzelnen Messstationen sein, nicht der Durchschnitt mehrerer Filteranlagen, die über einen größeren Raum verteilt sind. Schließlich seien Gesundheitsbeeinträchtigungen überall dort zu befürchten, wo die Grenzwerte nicht beachtet würden. „Ob die Überschreitung im Durchschnitt das gesamte Gebiet oder den Ballungsraum betrifft, ist für dieses Risiko nur von begrenzter Bedeutung“, heißt es in einer Erklärung des Gutachtens, die der EuGH veröffentlichte. Dies bringe, so die Generalanwältin, der „Witz über den Statistiker treffend zum Ausdruck, der in einem See ertrinkt, obwohl dieser im Durchschnitt nur wenige Zentimeter tief“ sei.

Auslöser des Verfahrens war eine Klage mehrerer Belgier, die in der Hauptstadtregion Brüssel leben. Sie hatten gemeinsam mit der Umweltorganisation ClientEarth kritisiert, dass es für das Gebiet der belgischen Hauptstadt keinen ausreichenden Luftqualitätsplan gebe. Deshalb forderten sie, dass Gerichte die Behörden kontrollieren und zur Aufstellung von Messstationen zwingen dürfen.

EU-Recht verlangt richterliche Kontrolle

Das bejahte die Generalanwältin am Donnerstag. Zwar hätten die zuständigen Behörden bei der Installation der Filter einen gewissen Ermessensspielraum. Die innerstaatlichen Gerichte dürften die Kommunen und ihre Verwaltungen jedoch dazu anhalten, entsprechende Messstationen aufzustellen. Denn das EU-Recht verlange eine richterliche Kontrolle, um dem Schutz von Leben und Gesundheit der Anwohner gerecht zu werden. In Deutschland begrüßte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, das Gutachten: „Wir müssen Gesundheitsschutz vor allem für besonders sensible und häufig vorerkrankte Mitmenschen betreiben.“ Deshalb sei es richtig, wenn die DUH vor Gericht Maßnahmen wie Fahrverbote erstreite.

Von denen ist im Papier Kokotts nicht die Rede, sondern lediglich von geeigneten Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Damit darf sich die EU-Kommission in Brüssel bestätigt fühlen. Sie hatte vor wenigen Wochen Deutschland mehr Beweglichkeit zugebilligt, um die Grenzwerte bei nur geringfügiger Überschreitung durch geeignete Schritte zu erreichen. Das müssten nicht automatisch und in jedem Fall Fahrverbote sein.

(Aktenzeichen: Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtssache C-723/17)

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