Landtagswahl in Schleswig-Holstein Wettlauf im Küstennebel

In Schleswig-Holstein wird am 7. Mai gewählt. Gemeinsam ist den Spitzenkandidaten von SPD, CDU, FDP und Grünen, dass sie überwiegend freundlich miteinander umgehen.

 Dauerkandidat, Herausforderer, Amtsinhaber (von links): Wolfgang Kubicki tritt zum siebten Mal für die FDP an. Daniel Günther ist erst seit November 2016 CDU-Landeschef. Thorsten Albig (SPD) ist seit Juni 2012 Ministerpräsident in Schleswig-Holstein.

Dauerkandidat, Herausforderer, Amtsinhaber (von links): Wolfgang Kubicki tritt zum siebten Mal für die FDP an. Daniel Günther ist erst seit November 2016 CDU-Landeschef. Thorsten Albig (SPD) ist seit Juni 2012 Ministerpräsident in Schleswig-Holstein.

Foto: dpa

Das Leben ist nicht gerecht. Der eine rennt – gegen die Uhr und gegen die mangelnde eigene Bekanntheit. Daniel Günther ist an einem März-Sonntag bei diesem Zehn-Kilometer-Wettkampf in Flensburg gut unterwegs. Wenn es so weiterläuft, ist Günther, CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, nach rund 43 Minuten im Ziel.

Das wäre schneller, als die meisten Teilnehmer eines Volkslaufes jemals sein werden. Doch bei Kilometer sieben stoppt Günther, der mit seinem Wahlkampfteam und somit gut erkennbar auf der Strecke ist, eine Wadenzerrung. Hämische Rufe von der Seite: „Jetzt geht ihm schon die Puste aus.“

Ein Herausforderer muss so etwas aushalten, zumal ihn bei einem Bekanntheitsgrad von 45 Prozent mehr als die Hälfte der Schleswig-Holsteiner eben noch nicht kennen. Günther ist in einer krisengeplagten CDU binnen sieben Jahren nun der fünfte Landesvorsitzende. Böse Zungen lästern, die CDU im nördlichsten Bundesland verschleiße mehr Landesvorsitzende als der HSV Trainer.

Auch das Leben eines Ministerpräsidenten ist manchmal nicht gerecht. Findet Torsten Albig. Der Amtsinhaber und Spitzenkandidat der Landes-SPD baut und baut und ist nach landläufiger Meinung trotzdem irgendwie schuld daran, dass auf Deutschlands größter Autobahnbaustelle, der A7 zwischen Hamburg und Kiel, seit Jahren nichts vorangeht. Wer CDU-Spitzenmann Günther fragt, was Schleswig-Holstein fehlt, hört als Antwort: „Straßen.“ Wer den FDP-Dauerspitzenkandidaten im Norden, Wolfgang Kubicki, der für die Liberalen zum siebten Mal den Frontmann gibt, dasselbe fragt, hört gleichfalls: „Straßen.“

Ministerpräsident Albig redet den Dauerstau auf der A7 gar nicht klein. Das kann er auch gar nicht. Er redet ihn schön: „Das ist ein Stau eigener und neuer Qualität. Dieser Stau ist ein Zeichen, dass es gut wird. Ich mache Straßen heil.“ Viele Autofahrer in Hamburg und Schleswig-Holstein werden die Luft anhalten, wenn sie solche Heilsversprechen hören: Wie lange dauert das Wunder auf der A7 noch?

Günther rennt, Albig baut, Kubicki weiß vieles besser und Monika Heinold, Spitzenkandidatin der Grünen, setzt unter anderem auf solide Zahlen im Landeshaushalt und auf einen hoffentlich erfolgreichen Verkauf der HSH-Nordbank. Heinold ist die Finanzministerin in Schleswig-Holstein und hat von ihren Vorgängern den Job geerbt, die Bank mit ihrem Milliardendefizit so zu verkaufen, dass per saldo das Land Schleswig-Holstein nach einem Verkauf besser dasteht als vorher. Mindestens mit einem Cent im Plus. Das ist die Vorgabe aus Brüssel.

Nur eines tun Albig, Günther, Kubicki und Heinold nicht. Sie reden nicht sehr schlecht übereinander. Auch das ist vielleicht das Besondere am Norden. Günther sagt über Albig und dessen aus CDU-Sicht überschätzten Amtsbonus: „Er stört die Leute nicht weiter.“ Allerdings habe er auch „null Anbindung an die Bevölkerung.“ Albig sagt über Günther: „Mein Vorteil? Man kennt mich. Ihn kennt man nicht. Solange er unbekannt bleibt, ist das gut für mich. Ende.“

Tausendsassa Kubicki, nach eigenen Worten „der letzte bekennende Macho in der deutschen Politik“, der an nur einem Abend in Eckernförde 100 Hebammen zu FDP-Wählerinnen machen will, sagt über Albig: „Der Ministerpräsident kann 60 Minuten mit einem Pathos reden, dass er danach von seiner Rede so ergriffen ist, dass er fast selbst weint.“ Albig wiederum über Kubicki: „Ein-Mann-Inszenierung.“

Im Zweifel, so erzählen beide, würden sie eine Koalition mit dem jeweils anderen wagen, auch wenn man sich nicht sonderlich mag. Kubicki bevorzugt – rein persönlich – eine Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen, „weil ich die unsäglichen Reden des Ministerpräsidenten nicht mehr hören kann“. Es geht noch besser: „Wer Albig hört, lernt Stegner schätzen.“ Politisch wäre Kubicki eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen lieber, weil die Liberalen da mehr Gewicht hätten. Aber man kann es sich nicht aussuchen.

Die AfD? Liegt derzeit bei sieben Prozent. Kubicki und SPD-Landeschef Ralf Stegner glauben, die AfD noch aus dem Landtag raushalten zu können. Kubicki hat dafür ein schlagendes Argument: „Wer Ralf Stegner und mich hat, der braucht keine Populisten.“

Grünen-Spitzenkandidatin Heinold hält sich vornehm zurück, verweist aber darauf: „Ich bin die Finanzministerin, die eine schwarze Null nach der anderen produziert.“ Im Wahlkampf wird sie mit dem weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannten Umweltminister Robert Habeck auftreten. Habeck hat bei den Grünen das Rennen um die Spitzenkandidatur im Bund gegen Parteichef Cem Özdemir denkbar knapp verloren. 75 Stimmen lag Özdemir beim bundesweiten Mitgliederentscheid am Ende vor Habeck.

Die Grünen im Norden haben das den Grünen im Bund nicht ganz verziehen. Als kürzlich Katrin Göring-Eckart, neben Özdemir der weibliche Teil der Grünen-Doppelspitze im Bundestagswahlkampf, beim Landeswahlparteitag im Norden auftauchte, erhielt sie keine Möglichkeit zur Rede an das Parteivolk. Heinold sagt es so: „Bundestrend, du bist hier nicht zu Hause.“ Die Grünen im Norden stehen deutlich zweistellig bei rund 13 Prozent und betonen selbstbewusst: „Wir sind eigenständig.“

Ministerpräsident Albig wäre es jedenfalls am liebsten, wenn Habeck auch nach der Wahl sein Stellvertreter an der Regierungsspitze bliebe. Selbst Kubicki kann nicht anders und lobt den Sympathieträger der Grünen: „Robert Habeck ist ein toller Typ.“ Auch CDU-Spitzenmann Günther schätzt den Landesumweltminister: „Das Verhältnis zu Robert Habeck ist total entspannt. Ich mag ihn wirklich, auch seine Art Politik zu machen.“

Günther weiß, dass er als Herausforderer und auch wegen seiner mäßigen Bekanntheitswerte „über die Inhalte kommen muss“. Also gut: Infrastruktur, also Straßenbau, siehe A7, Bildung, also Abitur wieder nach neun Jahren Gymnasium (G9), bei Wohngebieten künftig einen größeren Abstand zu den vielen Windrädern (von bislang 800 Metern auf dann 1 200 Meter) und – mit Abstrichen – innere Sicherheit und Flüchtlinge.

Bleibt noch der Südschleswigsche Wählerverband, kurz: SSW, seit 2012 erstmals in der Landesregierung, traditionell nahe an der SPD. CDU-Spitzenkandidat Günther kann mit dessen Unterstützung nicht rechnen. Sein Wahlziel: SPD, Grüne und SSW sollen keine eigene Mehrheit erreichen. „Dann kommt die CDU ins Spiel.“

Ministerpräsident Albig sagt über den Effekt, den der neue SPD-Vorsitzende Martin Schulz bundesweit ausgelöst hat: „Die Partei ist gerade im ‚Wir-finden-uns-gut-Modus‘.“ Nur sei in Schleswig-Holstein, strukturell eigentlich CDU-Land, ein Sieg keinesfalls selbstverständlich. „Wir müssen uns jeden Wahlsieg in Schleswig-Holstein erkämpfen. Das hier ist kein Selbstläufer. Wenn du das glaubst, verlierst du die Wahl.“ Albig baut. Und Günther rennt. Es sind jetzt die entscheidenden Kilometer bis ins Ziel. Ein Wettlauf im Küstennebel.

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