Interview mit Alexander Graf Lambsdorff "Wir werden diese Hürde schaffen"

BONN · Mit 86 Prozent der Delegiertenstimmen ist Alexander Graf Lambsdorff in Bonn zum Spitzenkandidaten der FDP für die Europawahl am 25. Mai gewählt worden. Der Spitzenkandidat über Europa, die Liberalen und die Koalition.

 "Die EU ist wie ein komplexes Mobile": FDP-Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff.

"Die EU ist wie ein komplexes Mobile": FDP-Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff.

Foto: dpa

Wie oft haben Sie dem Gesetzgeber schon dafür gedankt, dass es bei der Europawahl nur eine Drei-Prozent-Hürde gibt?
Lambsdorff: Für uns ist das kein Thema. Wir werden diese Hürde schaffen. Wir würden auch jede andere Hürde schaffen.

Sie sind jetzt zehn Jahre im Europaparlament. Was war in dieser Zeit für Sie die größte Veränderung?
Lambsdorff: Zuerst die Erweiterung 2004, als die Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa dazugekommen sind. Und zweitens das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages, der dem Parlament sehr viel mehr Einfluss gegeben hat.

Ihr neuer Parteichef hat auf dem Dreikönigstreffen relativ europakritisch gesprochen - über die Größe der Kommission, die Aufgabenallmacht von Brüssel. Ist das auch Ihre Sicht der Dinge?
Lambsdorff: Zwischen uns passt da kein Blatt. Die FDP steht zur europäischen Union, zur europäischen Einigung. Aber das macht uns nicht blind für ihre Mängel. Die Bürger erwarten, dass wir die klar ansprechen, und das tun wir.

Würden Sie den Satz unterschreiben, dass die EU aus der Balance geraten ist?
Lambsdorff: Die EU ist wie ein komplexes Mobile. Ich würde nicht sagen, dass sie insgesamt aus der Balance ist. Aber einzelne Teile dieses Mobiles sind es. Wir sind inzwischen so groß, dass Entscheidungsprozesse immer schwieriger sind. Wir haben in Ländern wie Ungarn ein Problem mit den bürgerlichen Freiheiten, mit der Demokratie. Wir haben mit Großbritannien ein Mitglied, das nicht wirklich weiß, ob es gemeinsam mit den Amerikanern spionieren oder mit Europa gemeinsam Politik machen soll.

Was fällt Ihnen zum Stichwort Rumänien und Bulgarien ein?
Lambsdorff: Beide Länder sind beigetreten, bevor sie wirklich reif waren dafür. Die Menschen dort haben Jahre darauf gewartet, dass sie sich in Europa frei bewegen dürfen. Jetzt dürfen sie es. Die Probleme, die es punktuell gibt, muss man angehen. Aber wenn die CSU durch ihr populistisches Getöse eine ausländerfeindliche Stimmung erzeugt, dann schadet das dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir brauchen doch ganz klar auch weiterhin Zuwanderung durch Fachkräfte.

Noch mal Ihr Vorsitzender Christian Lindner. Er wirft der NRW-Regierung vor, noch nicht einen einzigen Rumänen/Bulgaren ausgewiesen zu haben...
Lambsdorff: Das europäische Recht macht es möglich, dort wo es erkennbar Missbrauch oder Straftaten gibt, auch innerhalb der EU eine solche Ausweisung vorzunehmen. Es gibt eben keine bedingungslose Freizügigkeit, sondern sie heißt Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie ist also an Arbeit oder zumindest Arbeitssuche gekoppelt. Wenn in Duisburg oder Dortmund jetzt große Probleme existieren, spricht einiges dafür, dass die Landesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist.

Haben Sie nicht die Sorge, dass der neue europäische Realismus als Hinwendung zur eurokritischen AfD verstanden wird?
Lambsdorff: Wenn der eine oder andere es dafür hält, müssen wir damit leben. Wir wollen die EU besser machen, transparenter, demokratischer und erfolgreicher. Dazu muss man Defizite klar ansprechen. Wir stellen Europa aber nicht grundsätzlich in Frage, wie das diese national-alternative Protestbewegung tut.

Also muss sich der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher nicht mehr, wie vor gut einem Jahr, Sorgen um seine Partei machen?
Lambsdorff: Ich bin sicher, dass Hans-Dietrich Genscher den Kurs der neuen Parteiführung vorbehaltlos mitträgt.

Anderes Thema: Edward Snowden. Sind Sie für ein europäisches Asylrecht?
Lambsdorff: Ja. Es gibt Situationen, wo einzelne Mitgliedstaaten politisch so unter Druck geraten, wenn sie einer Person Asyl gewähren wollen, dass es sinnvoll sein kann, einer Person europäisches Asyl zu geben.

Macht es Sie besorgt, dass es vermutlich keinen Bonner oder Kölner gibt, der noch alle EU-Mitgliedstaaten aufzählen kann?
Lambsdorff: Ich glaube, Sie unterschätzen die Kölner und besonders die Bonner. Mir macht allerdings Sorgen, dass Europa als schwierig, als kompliziert, als intransparent wahrgenommen wird. Wir wollen deshalb zum Beispiel die Debatten im Ministerrat öffentlich machen.

Sie reden lieber über das Europa der Chancen...
Lambsdorff: Für die junge Generation trägt das Argument nicht mehr, dass Europa den Frieden sichert, so richtig es ist. Für diese Generation wollen die Liberalen ein positives Bild von Europa als Kontinent der Chancen in den Mittelpunkt stellen. Das große Europa der Reisefreiheit, der Studentenaustauschprogramme, der wirtschaftlichen Perspektiven gehört eben auch dazu und muss gestaltet werden.

Gehört die Türkei in die EU?
Lambsdorff: Diese Türkei kann sicher nicht in diese EU. Sie entwickelt sich gerade in ganz besorgniserregender Weise.

Sprung ins Inland: Ist die große Koalition ein Geschenk für die FDP?
Lambsdorff: Sie ist sicher kein Geschenk für Deutschland. Was etwa beschlossen ist in der Rentenpolitik, muss jedem Menschen Sorgen machen, der die Grundrechenarten beherrscht. Diese unverantwortliche Schuldenpolitik ist genau das, was zu der großen Krise im Süden geführt hat.

Bundespräsident Gauck hat kürzlich eine sehr liberale Rede gehalten. Hat er schon einen Aufnahmeantrag bei Ihnen gestellt?
Lambsdorff: Das hat er nicht, das wird er nicht und das muss er auch nicht. Der Bundespräsident steht über den Parteien, also auch über der FDP.

Zur Person

Alexander Graf Lambsdorff ist seit 2004 für die FDP Mitglied des Europäischen Parlaments. Lambsdorff, 1966 in Köln geboren, machte sein Abitur am Ako in Bad Godesberg, studierte in Bonn und Washington und wurde Diplomat. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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