Furcht vor der Fünf-Prozent-Hürde Wird es je eine FDP-Koalition unter Christian Lindner geben?

Analyse | Berlin · Der FDP ist über Jahre vorgeworfen worden, eine „Umfaller“-Partei zu sein. Bei Parteianhängern kommt wieder die Furcht vor einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten Bundestagswahl auf.

 FDP-Chef Christian Lindner.

FDP-Chef Christian Lindner.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Christian Lindner nennt die Entscheidung eine „Investition in langfristige Glaubwürdigkeit“. Am 19. November 2017 um kurz vor Mitternacht lässt er die Koalitionsverhandlungen mit Union und Grünen platzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht den Grünen nach Ansicht einer verärgerten FDP zu große Zugeständnisse. Der erhoffte Aufbruch mit Jamaika ist passé. Das erscheint Lindner aber für seine Partei allemal ungefährlicher als ein Eintritt in die Regierung mit einem schwachen Verhandlungsergebnis.

Seine damalige Begründung, „es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, dürfte bis in alle Ewigkeit in Porträts über ihn vorkommen. Der FDP war über Jahre vorgeworfen worden, eine „Umfaller“-Partei zu sein. Von diesem Image wollte der junge Parteichef – Lindner war damals 38 Jahre alt und bereits vier Jahre im Amt – unbedingt befreien. Er hatte die Liberalen zurück in den Bundestag gekämpft und direkt auf 10,7 Prozent gebracht. Auf keinen Fall wollte er Vertrauen verspielen. Doch viele, die auf die FDP gesetzt hatten, waren enttäuscht bis entsetzt, dass er die Chance, die Partei auch wieder direkt an die Macht zu bringen, nicht nutzte.

Lindner statt Scholz?

Sie sind bis heute davon überzeugt, dass man mit dem Umkehrschluss von Lindners legendärem Satz Macht erfolgreich verteidigen kann: „Es ist besser, falsch zu regieren, als nicht zu regieren.“ Auch eine Regierungspartei dürfe mal etwas falsch machen – wenn sie es denn korrigiert. Hauptsache, sie regiert. Diese Devise hört man zumindest oft in der Union, die mit Merkel seit 2005 das Kanzleramt hält.

In den vergangenen drei Jahren war viel „Hätte“, „Wenn“ und „Aber“ zu hören. Hätte sich Lindner damals etwas zurückgenommen, wäre jetzt er und nicht Olaf Scholz der Bundesfinanzminister, der die milliardenschweren Corona-Hilfen verteilt. Jamaika hätte vermutlich Schwung in die deutsche Politik gebracht und den Durst der Bürger nach etwas Neuem, Spannendem, Unkonventionellem mehr gestillt als die dritte große Koalition unter Angela Merkel. Die damals regierungsmüde SPD hätte sich in der Opposition regenerieren können.

Vielleicht läge sie dann in den Umfragen nicht deutlich unter 20 Prozent. Und die FDP nicht unter sechs Prozent. Bei Parteianhängern kommt deshalb so langsam wieder die Furcht vor einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten Bundestagswahl auf. Das Trauma von 2013, als die FDP aus der Regierung an der Opposition vorbei ins parlamentarische Aus stürzte, sitzt tief. Auch bei Lindner, der wohl am besten weiß, wie schwer der Weg zurück war.

Weniger Vertrauen trotz Transparenz

Dem 41-Jährigen sind in der zweiten Hälfte der aktuellen Legislaturperiode einprägsame Fehler unterlaufen. Etwa, wenn man jungen „Fridays for Future“- Aktivisten erklären will, dass der Klimawandel doch eher von „Profis“ bekämpft werden müsse.

Das, was sich in das Gedächtnis vieler Wähler aber regelrecht eingebrannt haben dürfte, ist die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten im Februar - mit Hilfe der AfD. Merkel nannte das „unverzeihlich“. Kemmerich trat wenig später zurück. Lindner hatte es versäumt, diesen Tabubruch zu verhindern. Er hat aber anschließend eine transparente Schadenbegrenzung betrieben. Und er stellte in der Partei die Vertrauensfrage, die er gewann. Aber seitdem sinken die Umfragewerte der FDP.

Das liege auch an der hohen Zufriedenheit mit den Regierungen in Bund und Ländern und mit einem starken Auftreten des Staates in der Corona-Krise, heißt es in Lindners Umfeld. Liberale Positionen würden von der Bevölkerung nicht sonderlich unterstützt. Die FDP habe zwar mit ihrer Mahnung an Profil gewonnen, die Bürgerrechte zu achten und in puncto Corona nach Vorbild der schwarz-gelben NRW-Landesregierung in einen modifizierten Alltag zu wechseln. Im bürgerlichen Publikum sei diese Position aber so umstritten, dass größere Zugewinne bei Umfragen kurzfristig nicht erwartet würden. Chancen würden in den Themen Schaffung von Arbeitsplätzen, solide Staatsfinanzen, Digitalisierung und Bildung gesehen.

Der FDP-Parteitag im September dürfte ein Gradmesser werden, wie es um Lindner als Parteichef steht und wie selbstbewusst die Liberalen unter ihm sind. Seine „One-Man-Show“ war von den verunsicherten Liberalen dankbar angenommen worden, als sie nach dem Wiedereinzug ins Parlament noch keinen Plan hatten. Aber langsam muss er ein Team präsentieren, um nicht als entrückt und unsympathisch zu gelten. Lindner wolle seine Vorschläge für den Kurs der FDP konkretisieren, heißt es. Dazu gehörten auch „Ideen zur Team-Aufstellung“.

Er habe mit der FDP noch einiges vor, sagte Lindner im Juli. Es wurden ihm auch Fragen gestellt, ob er womöglich zurücktrete. Er wolle nach der nächsten Bundestagswahl am liebsten in Regierungsverantwortung weitermachen, betonte Lindner als Antwort. Die Frage ist, ob die FDP für eine Regierung überhaupt gebraucht werden wird.

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