Bauernproteste Wo die Bauern recht haben und wo nicht

Berlin · Innerhalb weniger Wochen sind erneut tausende Bauern auf die Straße gegangen, um gegen strengere Umweltauflagen und für mehr Akzeptanz zu demonstrieren. Wissenschaftler halten einige der Vorwürfe für berechtigt – doch auch die Landwirte müssen ihnen zufolge neue Realitäten erkennen und umsteuern.

 Auch in Bonn gab es 2019 Bauernproteste. Tausende Traktoren kamen nach Bonn.

Auch in Bonn gab es 2019 Bauernproteste. Tausende Traktoren kamen nach Bonn.

Foto: Benjamin Westhoff

Zum Start der Grünen Woche in Berlin haben bundesweit tausende Bauern gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung protestiert. Sie stören sich derzeit insbesondere an der Düngeverordnung, mit der Union und SPD Vorschriften aus Brüssel umsetzen müssen. Wegen überschrittener Grenzwerte hat Deutschland bereits im Juni 2018 Ärger vom Europäischen Gerichtshof bekommen. Mit den neuen Vorschriften will die Bundesregierung nun drohende Strafzahlungen von täglich bis zu 800.000 Euro abwenden.

Düngeverordnung

Das Problem: Von den Äckern der Bauern wird zu viel Nitrat ins Grundwasser geschwemmt, vor allem in Gebieten, in denen viele Nutztiere gehalten werden und dementsprechend viel Gülle anfällt. Auch Gebiete mit sandigen Böden sind besonders betroffen, weil dort der Regen die Stoffe leichter ausschwemmen kann. Damit verstößt Deutschland gegen die Grundwasserrichtlinie der EU, die einen Grenzwert von maximal 50 Milligramm Nitrat je Liter Wasser vorschreibt. Laut Umweltbundesamt (UBA) wurde dieser Wert zuletzt an rund 18 Prozent der Messstellen überschritten.

Zwar ist das Trinkwasser dem UBA zufolge nicht gefährdet. Der Aufwand, es zu reinigen, ist jedoch gestiegen. „Es ist Fakt, dass bereits Wasserwerke wegen der hohen Nitratbelastung schließen mussten“, sagt Hubert Wiggering. Der Professor für Geoökologie an der Universität Potsdam ist Chef der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA). Er fordert ein Umdenken im Agrarsektor: „Die Landwirte und insbesondere ihre Lobbyisten müssen akzeptieren, dass in vielen Regionen die Ökosysteme an ihrer Belastungsgrenze angelangt sind“, so der Wissenschaftler. Doch er warnt davor, den Landwirten Unrecht zu tun. „Es wäre falsch, alle Bauern über einen Kamm zu scheren. Ich kenne keinen Landwirt, dem der Zustand der Böden und der Gewässer oder die Biodiversität in unserem Land egal wäre“, so Wiggering. Die Bauern in Deutschland würden in der Regel nicht gegen Gesetze verstoßen. „Trotzdem sind sie die Sündenböcke. Das ist falsch, weil die Politik die Spielregeln bestimmt“, sagt der Agrarexperte.

Die neuen Spielregeln sehen vor, dass künftig Bauern in besonders belasteten „roten Gebieten“ nur noch 20 Prozent weniger Düngung im Betriebsdurchschnitt auf die Felder bringen dürfen. Zusätzlich plant die Bundesregierung eine Mengen-Obergrenze je Fläche. Außerdem will sie Sperrzeiten im Herbst und Winter verlängern und die Abstände zu Gewässern beim Düngen vergrößern. Zudem sollen Bauern die tatsächlich aufgebrachte Düngermenge dokumentieren.

Die Bauern halten dagegen. Ihr mächtiger Verband, der im Ruf steht, erheblichen Druck auf das von Julia Klöckner (CDU) geführte Landwirtschaftsministerium ausüben zu können, warnt bei geringerer Düngung vor einer Unterversorgung von Kulturpflanzen wie etwa Weizen. Der Importanteil von Lebensmitteln auf dem deutschen Markt werde so zunehmen. Das Regelwerk von 2017 müsse sich erst noch bewähren, wofür es bereits erste Anzeichen gebe: überproportional sinkende Tierbestände und Rückgänge beim Mineraldüngerabsatz. Der Biobauern-Verband BÖLW betont, nötig sei vor allem, dass auf einer Fläche nur so viele Tiere gehalten werden, wie Böden und Gewässer verkraften.

Forscher Wiggering sieht dringenden Handlungsbedarf und ist gegen eine Verzögerung durch immer neue Messungen. „Die Politik kann es nicht allen recht machen. Es wird Härten für einzelne Landwirte geben“, sagt der Professor. „Aber das gesellschaftliche Ziel einer klima- und umweltfreundlicheren Landwirtschaft ist nicht mehr verhandlungsfähig. Wir haben für diesen Wandel keine Zeit mehr zu verlieren.“ Er plädiert jedoch für ein regional unterschiedliches Vorgehen, weil auch die Böden sehr unterschiedlich sind. Außerdem kommen seinen Angaben zufolge auch noch andere Maßnahmen infrage: „Es ist nicht verständlich, warum Getreide für Tierfutter qualitativ so hochwertig sein muss, wie für Backprodukte“, sagt Wiggering. Allein diese Differenzierung beim Anbau könne Nitrat einsparen, weil für Backqualität erheblich mehr mit Stickstoff gedüngt werde.

Biodiversität und Konsumentenverhalten

Auch bei der Artenvielfalt sieht der Wissenschaftler die Politik und die Bauern in der Pflicht, schneller umzudenken. „Es ist Fakt, dass Totalherbizide wie Glyphosat einen direkten und schädlichen Einfluss auf die Artenvielfalt haben.“ Die Landwirte hätten Zeit gehabt für die Umstellung auf alternative Methoden wie andere Fruchtfolgen, Zwischenfrüchte, Untersaaten oder mechanische Verfahren wie Striegeln, um Unkraut zu bekämpfen. Stattdessen stimmte auch die Bundesregierung für eine längere Glyphosat-Zulassung in Europa.

Bei den Umwälzungen im Agrarsektor fürchten die Landwirte um ihr Einkommen, fühlen sich in ihrer Existenz bedroht. Mitunter nennen sie Einbußen von 20 Prozent, drohen mit einem Höfesterben durch immer neue Auflagen. Higgering plädiert deswegen für eine Reform der gigantischen EU-Hilfen für Landwirte. „Agrarsubventionen sollten nicht nur nach Fläche verteilt werden“, sagt er. Wichtig wären die zusätzlichen Kriterien Umwelt- und Klimaschutz sowie Tierwohl. „Wenn Landwirte beispielsweise mehr Blühstreifen, Wildbienen oder Platz für die Nutztiere nachweisen können, sollten sie mehr Geld bekommen“, so der Wissenschaftler.

Er ruft aber auch die Konsumenten zum Umdenken auf, weil Bauern häufig zu schlecht mit ihren Produkten verdienen. „Landwirte haben recht, wenn sie wollen, dass Konsumenten Lebensmittel mehr wertschätzen sollten und das Preisniveau insgesamt anziehen muss.“ Der Einzelhandel dürfe aber das zusätzliche Geld nicht allein einstreichen, sondern er müsse es an die Erzeuger zurückfließen lassen. Ein Punkt, bei dem sich ausnahmsweise Politik, Bauern und Forscher einig sind.

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