Erste Sondierungsgespräche Wunschziel: Regierung zu Weihnachten

BERLIN · Schon der Ort für die ersten Sondierungsgespräche deutet auf die leicht verfahrene Lage hin: Die Räumlichkeiten der Parlamentarischen Gesellschaft, in der sich die Delegationen von CDU, CSU und SPD am Freitag um 13 Uhr treffen wollen, sind gewissermaßen neutrales Territorium.

 Vier-Augen-Gespräch: Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit Bundespräsident Joachim Gauck zu Beratungen über eine Regierungsbildung.

Vier-Augen-Gespräch: Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit Bundespräsident Joachim Gauck zu Beratungen über eine Regierungsbildung.

Foto: dpa

Bei regulären Koalitionsverhandlungen sind die Parteizentralen der übliche Verhandlungsort. Jetzt handelt es sich nur um "Sondierungen", die angeblich ergebnisoffen sind. Da ist die Parlamentarische Gesellschaft des Bundestages der ideale Ort, weil er - so seine Gründungsväter - in diskreter Atmosphäre fraktionsübergreifende Kontakte fördern soll.

Das dürfte auch nötig sein. Denn außer dem Termin ist auch acht Tage nach den Bundestagswahlen koalitionspolitisch noch immer nichts klar. Im Mittelpunkt steht der Streit um mögliche Steuererhöhung. Die Fronten seien "extrem verhärtet", hört man in den Berliner Parteizentralen der potenziellen Koalitionspartner.

Bundespräsident Joachim Gauck empfing am Montagnachmittag die Kanzlerin zu einem Vier-Augen-Gespräch; heute steht eine Unterredung mit SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem Programm. Im Bundespräsidialamt versuchte man, den Vorgang in den Routinebereich herunterzuspielen: "Der Bundespräsident muss sich informieren, was die Parteien vorhaben", lässt Gauck verlauten. Fest steht: Der Bundespräsident mischt sich, das ist sein gutes Recht, zu einem ungewohnt frühen Zeitpunkt in die Gespräche ein und unterstreicht so, dass die Koalitionsbildung mit hohen Risiken verbunden ist.

Eine zentrale Rolle bei dieser eher alarmierenden Lageeinschätzung spielt der Streit um die künftige Steuersituation des Bundes. Die Kanzlerin, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und Unions-Fraktionschef Volker Kauder haben unisono höhere Steuern abgelehnt. Man habe "so intensiv wie nie" im Wahlkampf die Forderung nach höheren Steuern zurückgewiesen. Die Wähler müssten sich auf die Versprechungen verlassen können. Und man wolle nicht als Umfaller in die Geschichte eingehen.

Die SPD verweist im Gegenzug auf den hohen Investitionsbedarf, der mit den bisherigen Einnahmen nicht zu bewältigen sei. Stichworte: Bildung, Verkehr, Infrastruktur.

Wenn die drei Parteien ein ehrliches Interesse an einer Konsenslösung hätten, gäbe es zur umstrittenen Erhöhung der Einkommensteuer für Spitzenverdiener eine Alternative: Die Erhöhung der alle Bürger treffenden Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt. Das brächte etwa neun Milliarden in die Kassen von Bund und Ländern. Schon die Koalitionsverhandlungen 2005 mussten sich dieses Themas annehmen. Damals wurde die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht.

Auch bei anderen Themen gibt es gut denkbare Kompromisslinien: Nach Einschätzung aus Unionskreisen wird die SPD sich von ihrem dogmatischen Nein zum Betreuungsgeld verabschieden, weil die Neuregelung bereits Gesetzeskraft hat und eine Revision als äußerst unpopuläre staatliche Leistungskürzung aufgefasst würde.

Eine andere Schwierigkeit: Es gibt kaum Koalitionsalternativen. Die SPD kann sich eine rot-rot-grüne Koalition nicht leisten; die Aussicht auf eine schwarz-grüne Koalition sei verschwindend klein und in der CDU-Mitgliedschaft noch nicht vermittelbar. Als Ballast wird auch das Verhalten der SPD empfunden, die trotz der riesigen prozentualen Unterschiede beim Bundestagswahlergebnis immer wieder von Verhandlungen "auf Augenhöhe" spricht.

Über diese und andere Probleme werden sich die drei Parteien ab Freitag den Kopf zerbrechen. Gerechnet wird mit 21 Teilnehmern. Merkel wird die Unionsseite anführen. Neben ihr Kanzleramtschef Ronald Pofalla, Fraktionschef Kauder, Finanzminister Wolfgang Schäuble, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und die Ministerpräsidenten Volker Bouffier (Hessen) und Stanislaw Tillich (Sachsen). Die CSU ist in jedem Fall mit Parteichef Horst Seehofer und sechs weiteren Politikern vertreten.

Auf der SPD-Seite: Parteichef Gabriel, Generalsekretärin Andrea Nahles, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, deren Hamburger Amtskollege Olaf Scholz und Parteivize Manuela Schwesig. Wahrscheinlich wird die SPD-Delegation um weitere Köpfe erweitert, sollten aus der vorsichtigen Sondierung echte Koalitionsverhandlungen werden. Fest steht schon jetzt: Koalitionspolitische Schnellschüsse wird es wohl nicht geben. Als Wunschziel gilt eine neue Bundesregierung zur Weihnachtspause .

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