Hitze, Staub und große Liebe Zeche Prosper-Haniel in Bottrop stellt Betrieb ein

Bottrop · Auf rund 100 Kilometern verzweigt sich das unterirdische Streckennetz der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Bis Ende 2018 werden die letzten beiden Steinkohlezechen ihren Betrieb einstellen.

 Schacht 10 auf der Zeche Prosper Haniel: Ende August wird die Förderung eingestellt. Unter Tage empfängt die Heilige Barbara die Bergleute wie Reviersteiger Jürgen Jakubeit (Mitte rechts). Im Förderkorb geht es abwärts zum Arbeitsplatz auf 1200 Meter Tiefe.

Schacht 10 auf der Zeche Prosper Haniel: Ende August wird die Förderung eingestellt. Unter Tage empfängt die Heilige Barbara die Bergleute wie Reviersteiger Jürgen Jakubeit (Mitte rechts). Im Förderkorb geht es abwärts zum Arbeitsplatz auf 1200 Meter Tiefe.

Foto: Axel Vogel

Es mutet an wie eine kleine Weltreise, wenn man Jürgen Jakubeit in seiner dunklen, lauten und schmutzigen Arbeitswelt besuchen will. Die beginnt rund 1200 Meter tief unter der Bottroper Erde auf dem Gelände der Zeche Prosper Haniel. Dort unten in einem schier endlosen Labyrinth ist der Oberhausener als Reviersteiger zuständig für den Steinkohleabbau in einem der letzten aktiven Abbaugebiete der Zeche.

Auf rund 100 Kilometern verzweigt sich das unterirdische Streckennetz insgesamt, allein Jakubeits Revier umfasst elf Kilometer. Künstliches Licht, permanenter Lärm, Hitze und Kohlestaub sind sein täglich Brot – und das seit 33 Jahren aus vollster Überzeugung. Wenn man so will, verkörpert der drahtige 49-Jährige mit dem Kurzhaarschnitt den Prototyp des traditionsbewussten Bergmanns. Er ist nicht von ungefähr Bergmann in dritter Generation. Zwei Tattoos, ein Förderturm auf dem Oberarm und die Heilige Barbara an der Wade sprechen Bände. Freiwillig einer anderen Arbeit nachzugehen, wäre Jakubeit nie in den Sinn gekommen.

Das Zechensterben im Ruhrgebiet überstand er einem Stehaufmännchen gleich mit festem Vorsatz, in dem geliebten Job „die Rente zu erleben“. Wiederholt wechselte er den Arbeitsplatz, aber nicht den Beruf. In insgesamt drei Bergwerken fuhr er ein, seit 2006 in Prosper Haniel. Doch jetzt heißt es auch für ihn Schicht im Schacht. Beschlusslage der Politik ist: Bis Ende 2018 werden die letzten beiden Steinkohlezechen, die Zeche Prosper Haniel in Bottrop und die Zeche Anthrazit Ibbenbüren, ihren Betrieb einstellen.

Besuch in der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop
25 Bilder

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Revier 006

Sie gehören zur Essener RAG Aktiengesellschaft. Rund 2700 Kumpels müssen dann gehen, so RAG-Sprecher Christof Beike, dessen Unternehmen noch rund 4700 Mitarbeiter zählt. Fast alle würden den vorzeitigen Ruhestand antreten, so wie Jürgen Jakubeit, für den das ein ganz bitterer Weg wird.

Um 8 Uhr sammelt sich an diesem Julitag eine Journalistengruppe am Eingangstor von Schacht 10. Pressevertreter aus verschiedenen Teilen der Republik wollen noch einmal hautnah Bergbau-Atmosphäre schnuppern, bevor der Förderturm der Zeche Prosper Haniel Ende des Jahres endgültig stillstehen wird. 160 Jahre Bergbau sind dann auch in Bottrop Geschichte.

Jakubeits Reich heißt Revier 006 und liegt über einen Kilometer tief unter der Erde. Hier hat er das Sagen für seine Mannschaft, die aus 74 Kumpel besteht. RAG-Sprecher Christof Beike und sein Kollege vor Ort, Reviersteiger Holger Stellmacher, empfangen die Gruppe mit einem „Glück auf“, der Begrüßung der Bergleute. Für Beike und sein Team gehören Grubenfahren mit Pressevertretern derzeit zum Alltag: Anlässlich des denkwürdigen Ausstiegs aus dem Steinkohleabbau kann sich die RAG-Pressestelle vor Anfragen nicht retten.

Bevor es unter Tage geht, heißt es für alle Mann von Kopf bis Fuß umziehen. Sicherheitsbekleidung und -ausrüstung müssen angelegt werden. Dazu zählen Schutzhelm mit Grubenlampe ebenso wie ein CO-Filter-Selbstretter. Ohrstöpsel, Sicherheitsbrille und Knieschoner sind ebenfalls Pflicht. Spätestens jetzt ahnt der Unbedarfte, dass der Weg zu Jakubeit & Co. beschwerlich wird. Dann heißt es im Aufzug „Anfahren“ in das Bergwerk. Rund drei Minuten braucht der Förderkorb, bis er die Sohle erreicht hat.

Kohlebrocken zerquetschten Wirbel

Hier steht man an einem Schnittpunkt eines kilometerlangen unterirdischen Streckennetzes, durch dessen Querschnitt bequem ein Lastwagen passen würde. Nach einem kurzen Fußweg vorbei an einer Figur der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, geht es in ein besonderes Gefährt: In die „Dieselkatze“, eine Art Miniaturschwebebahn, die Kumpels und Ausrüstung zu den Abbaustollen, „Strebe“ genannt, bringt. Rund 45 Minuten rumpelt die Kleinbahn über die 4,5 Kilometer lange Strecke. Unterwegs tauchen in der nur spärlich von künstlichem Licht erhellten industriellen Unterwelt fast schon geisterhaft Kumpel auf, die an Trafostationen und Versorgungsleitungen arbeiten.

Dann endlich hält die Bahn, die Fahrgäste stolpern hinter Beike und Stellmacher durch das düstere Nichts. Das Revier 006 von Jakubeit ist erreicht. Die Gruppe geht dem Lärm nach und im nunmehr Halbdunkel zeichnet sich die monströse Maschine ab, der so genannte Hobelstreb, der die Kohle im wahrsten Sinn des Wortes aus dem etwa 1,70 Meter dicken Kohleflöz hobelt. Hier in dem engen, etwa 1,40 Meter hohen Streb funktioniert Fortbewegung nur im Entengang oder auf Knien rutschend, daher die Schoner. Kein Vergnügen bei 30 Grad und Kohlestaub ohne Ende, der einem im Handumdrehen Gesicht und Hände schwärzt.

Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen bewegt Jakubeit per Elektronik die hydraulischen Schutzschilde synchron über der Abbaustelle, um so die Bergleute vor nachstürzendem Erdreich zu schützen. Für insgesamt 219 der hoch modernen Schutzschilde, von denen jeder der beiden Stempel 300 Bar drückt, zeichnet Jakubeit in seinem Streb verantwortlich. Insgesamt gibt es auf dem Bergwerk noch zwei Abbaubetriebe, bestückt mit Spitzentechnik „Made in Germany“. Kostenpunkt pro Schutzschild: 140.000 Euro.

Wie wichtig Sicherheit ist, weiß wohl keiner besser als Jakubeit. 2005 geriet er unter einen Kohlebrocken, der ihm einen Wirbel quetschte. Fast zwei Jahre quälte ihn die Angst, querschnittsgelähmt zu bleiben. Doch er kämpfte sich zurück. Aufmunternde Worte spendeten seine Kumpel: „Wenn du die Arbeitskollegen gut behandelst, machen die alles für dich.“ Der Zusammenhalt und das Geld waren zwei wesentliche Gründe, warum Jakubeit Bergmann blieb.

Feierabend um 13 Uhr

Als die in den 90er Jahren stillgelegte, gigantische Zeche Zollverein in Essen, der einstigen Kohlehauptstadt Europas, bereits UNESCO-Weltkulturerbe war, absolvierte Jakubeit noch die Prüfung zum Reviersteiger. Bis zuletzt hatte er die Hoffnung, „in dem Job alt werden zu können“. Doch Ende August ist in seinem Revier Schluss. Das letzte Abbaurevier der Zeche Prosper Haniel stellt bis spätestens Winter die Kohleförderung ein. Bis dahin werden 2018 noch rund zwei Millionen Tonnen Steinkohle vertragsgemäß an Kohlekraftwerke und Kokereien geliefert, sagt Beike. Kohle wäre noch genug da: Der Vorrat des Bergwerks Prosper Haniel reiche für 30 bis 40 Jahre.

Trotzdem folgt nun das, was Jakubeit in der Seele weh tut: das „Ausrauben“ der Abbautechnik in der Zeche. Dazu werden die unterirdischen Anlagen zurückgebaut, „damit keine Umweltschäden entstehen“, erklärt er. Gerne hätte die RAG Anlagen verkauft, aber bislang fanden sich kaum Abnehmer: „Der Bergbau boomt weltweit nicht gerade“, berichtet der RAG-Sprecher.

Erst wenn das Bergamt sein Okay gibt, können die Schächte, die Verbindungen zwischen unten und oben, verschlossen werden. Das wird noch bis 2020 dauern. Rund 600 RAG-Mitarbeiter sind auch danach noch beschäftigt: mit der Regulierung von Bergschäden, der Sicherung des Altbergbaus und mit „Ewigkeitsaufgaben“, beispielsweise dem Abpumpen von salzhaltigem Grubenwasser. Diese Ewigkeitsaufgaben finanziert die RAG-Stiftung, erklärt Beike. Das Ausrauben seines Bergwerks muss Jakubeit nur ansatzweise miterleben. Am 19. Oktober geht er in den Vorruhestand.

Gegen 13 Uhr nähert sich an diesem Tag für ihn der Feierabend , bereits um kurz vor 4 Uhr hatte sein Wecker geklingelt. Auf dem Weg nach oben lässt er durchblicken, dass er nicht so recht weiß, wie es weitergehen soll. Ohne Staub, Hitze, Kohle und Kumpel. „Du stehst immer noch bei 100 Prozent Arbeitskraft und Motivation und plötzlich ist alles vorbei.“ Zumal er sich bis auf nächtliche Krampfattacken gesund fühlt, was in dem Job eher die Ausnahme ist. Was er tun will? „Vielleicht einen Minijob annehmen.“ Was er bestimmt tun wird: Mit Ehefrau Marion verstärkt Trödelmärkte nach Bergwerksdevotionalien durchforsten.

Weitere Fotos unter www.gabonn.de/prosper

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