Zschäpe-Verteidiger fordern Prozesseinstellung wegen Vorverurteilung

München · Tag fünf im NSU-Prozess: Alle warten mit Spannung auf die Aussage des ersten Angeklagten. Aber erst einmal geht es mit juristischen Hakeleien weiter. Das Gericht lehnt eine Serie von Anträgen ab - doch die Verteidigung schiebt neue nach.

 Die Angeklagte Beate Zschäpe beim Betreten des Gerichtssaals.

Die Angeklagte Beate Zschäpe beim Betreten des Gerichtssaals.

Foto: dpa

Im NSU-Prozess haben die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe eine Einstellung des Verfahrens wegen angeblicher Vorverurteilungen gefordert. Zschäpe sei von Vertretern staatlicher Stellen unter anderem als "Mitglied einer Mörderbande" bezeichnet worden - "ohne dass in den Äußerungen überhaupt zum Ausdruck kam, dass es sich um einen Tatverdacht handelt", sagte Verteidigerin Anja Sturm am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München.

"Aufgrund der gezielten, von den Strafverfolgungsbehörden selbst gesteuerten und betriebenen Vorverurteilung" sei ein fairer Prozess nicht mehr durchführbar, sagte Sturm. Vor allem könnten Zeugen nicht mehr unbeeinflusst aussagen.

Zschäpe ist wegen Mittäterschaft bei sämtlichen Taten der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) angeklagt - darunter die Morde an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin sowie zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. müssen sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten, Holger G. und André E. wird Unterstützung des NSU vorgeworfen.

Sturm zitierte unter anderem Äußerungen von Generalbundesanwalt Harald Range. Der habe bereits zu Beginn der Ermittlungen gesagt: "Die NSU hat in bislang nicht gekannter Brutalität und Kaltblütigkeit gemordet und Menschen schwer verletzt." Auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, habe frühzeitig von einer "Mörderbande" gesprochen, ebenso Politiker wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Überdies seien im Umfeld der Angeklagten viele Vertrauenspersonen der Verfassungsschutzämter eingesetzt gewesen. Hierüber lägen nur unzureichende Informationen vor, so dass sich keiner der Verfahrensbeteiligten auch nur annähernd ein Bild davon machen könne, sagte Sturm. "Durch diese Auswahl sind sowohl der Verfahrensgrundsatz des fairen Verfahrens als auch des rechtlichen Gehörs verletzt."

Auch in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen - deren Arbeit Sturm grundsätzlich würdigte - sei "eine manifeste Vorverurteilung unserer Mandantin" vorgenommen worden. Die Ausschüsse hätten unter der Prämisse gearbeitet, dass es die terroristische Vereinigung NSU gab, und dass diese Gruppe die angeklagten Straftaten gemeinsam begangen habe. "Damit wird in den Untersuchungsausschüssen das, was hier in der Hauptverhandlung überhaupt erst aufgeklärt und bewiesen werden soll, als bereits feststehendes Beweisergebnis vorausgesetzt", sagte Sturm.

Zuvor hatte der Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl eine ganze Serie von Anträgen der Verteidigung abgelehnt - unter anderem auch einen Antrag der Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben auf Einstellung des Verfahrens. Auch darin ging es um eine angeblichen Vorverurteilung, allerdings durch die Medien. Der Senat wies den Antrag zurück. Die Verteidigung habe keine konkreten nachvollziehbaren Aspekte aufgezeigt, die ein faires Verfahren infrage stellen könnten. Dass sich die Politik in das Verfahren einmischen und der Senat sich dadurch beeinflussen lassen werde, sei eine "bloße Vermutung". Der Senat habe bisher unabhängig agiert.

Nach der Verlesung des Einstellungsantrags wurde die Sitzung für die Mittagspause unterbrochen. Am Nachmittag sollen die Beteiligten zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Falls dann noch Zeit bleibt, könnten die Angeklagten aussagen. Sowohl Carsten S. als auch Holger G. signalisierten dem Gericht am Dienstag nochmals, dass sie Aussagen machen wollen.

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