Kommentar zur Clankriminalität in NRW Zu lange bei mafiösen Strukturen weggeschaut

Meinung | Düsseldorf · Binnen drei Jahren sollen Mitglieder krimineller Clans in NRW für mehr als 14.000 Straftaten verantwortlich sein. Die Tätigkeit krimineller Großfamilien stellt eine ernsthafte Bedrohung dar, kommentiert GA-Redakteur Kai Pfundt.

Bedrohung. Nötigung. Raub. Körperverletzung. Rauschgifthandel. Illegales Glücksspiel. Sozialbetrug. Fast 6450 Tatverdächtige, weit über 14.000 Straftaten. Mord und Mordversuch in 26 Fällen. Zahlen und Daten von Verbrechen, die auf das Konto krimineller Familiengruppen gehen sollen. Zusammengetragen nur für NRW, und nur für die Jahre 2016 bis 2018. Das Lagebild Clankriminalität, das NRW-Innenminister Herbert Reul präsentierte, zeigt also nur einen zeitlich und räumlich begrenzten Ausschnitt. Und auch nur den Ausschnitt, der polizeilich dokumentiert ist.

Die Vorwürfe reichen aber auch ohne das nicht erfasste Dunkelfeld: Die Tätigkeit krimineller Großfamilien in Deutschland stellt eine ernsthafte Bedrohung dar. Und dies gleich in mehrfacher Ausprägung.

Mafiöse Strukturen

Erstens für die Opfer selbst. Selbst vermeintlich banale Verbrechen wie Diebstahl oder Einbruch können Betroffene traumatisieren, vom materiellen Schaden ganz zu schweigen. Zweitens erschweren die mafiösen Strukturen sowie die große Zahl möglicher Täter die Strafverfolgung. Familien mit Tausenden von Mitgliedern, teilweise international aufgestellt, sind für die Fahnder kaum zu durchdringen.

Komplexe Ermittlungen binden umfangreiche Polizeikräfte, die woanders fehlen. Wenn es Behörden noch nicht einmal schaffen, sich bei ein und demselben Verdächtigen auf einen Familiennamen zu einigen, macht sich der Staat auch noch zum Gespött von Leuten, die ihn ohnehin als leicht auszunehmendes Opfer sehen, dem sie allein schon deshalb keinerlei Respekt entgegenbringen.

Reuls Verdienst

Der Staat, der das mit sich machen lässt, verliert drittens das Vertrauen seiner Bürger. Er versagt nämlich bei einer seiner wichtigsten Aufgaben, ihnen Sicherheit und Schutz zu bieten. Wo der Staat als Ordnungsmacht das Feld räumt, etablieren sich andere Schutzmächte. So können Häuserblöcke, Straßenzüge oder ganze Stadtviertel zu Parallelgesellschaften werden. Deutschland ist ein vergleichsweise sicheres Land, die Verbrechensraten sinken. Dieser allgemeine Befund rechtfertigt jedoch nicht bequeme Ignoranz und falsch verstandene Toleranz, mit der Politiker und Behörden die Clankriminalität zu lange behandelt haben.

NRW-Innenminister Reul hat das Thema zum Arbeitsschwerpunkt gemacht. Das ist sein Verdienst. Entscheidend wird aber sein, ob Sicherheitspolitiker und Behörden auch dann nicht nachlassen, wenn die Regierung wechselt und die öffentliche Aufmerksamkeit schwindet. Mit spektakulären Einzelaktionen und Nadelstichen ist der Kampf gegen kriminelle Clans nämlich nicht zu gewinnen.

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