Terrorismus in Deutschland Zugriff im Morgengrauen

Berlin · Über Monate haben Fahnder eine mutmaßliche Schläferzelle der Terrormiliz „Islamischer Staat“ beschattet. Jetzt sind drei Verdächtige festgenommen worden, bevor ein Befehl zum Anschlag kam. Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht von „Bezügen nach Paris“.

 Warnte davor, Flüchtlinge unter einen Generalverdacht zu stellen: Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Warnte davor, Flüchtlinge unter einen Generalverdacht zu stellen: Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Foto: dpa

Die Fahnder haben über Monate ermittelt, Telefongespräche abgehört, E-Mails mitgelesen. Das Bild, das im Laufe der Zeit vor ihnen auftauchte, erhärtete bald den Verdacht, eine „Schläferzelle“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Deutschland aufgespürt zu haben. Im Morgengrauen griffen Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Sondereinheit GSG9 dann zu: In fünf Objekten in Schleswig-Holstein und in einem in Niedersachsen, darunter drei Flüchtlingswohnheime, rückten die Staatsschützer und Ermittler an. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt nur Stunden nach dem Zugriff am Dienstag in Berlin, der Einsatz habe über Monate „enorm viele Kräfte gebunden“. Drei Personen, mutmaßliche IS-Mitglieder und vermutlich aus Syrien stammend, gingen den Fahndern ins Netz.

Auffällig: Die drei Terrorverdächtigen im Alter von 17, 18 und 26 Jahren waren laut de Maizière vermutlich von derselben Schlepperorganisation über die Balkanroute nach Europa gebracht worden wie auch einige der Attentäter aus dem November vergangenen Jahres in Paris. Und auch die Reisedokumente der drei mutmaßlichen Syrer, die über die Türkei und Griechenland nach Deutschland gekommen seien, stammten demnach „aus derselben Werkstatt der entsprechenden Region“ wie bei einigen Paris-Attentätern aus dem November. De Maizière nennt das trocken im Ermittlerdeutsch: „Bezüge nach Paris“. Die Pässe soll das mutmaßliche Terrortrio vom IS bekommen haben, ebenso US-Dollar in bar in vierstelliger Höhe sowie Mobiltelefone mit einem vorinstallierten Kommunikationsprogramm.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der selbst aus Schleswig-Holstein stammt, erklärte: „Dass die Flüchtlingssituation offensichtlich ausgenutzt wird, um Terroristen in die Bundesrepublik zu schleusen, ist hochgradig perfide.“ Doch der Bundesinnenminister machte auch deutlich, dass eine Terrororganisation wie der IS keinen Flüchtlingstreck mit Zehntausenden Menschen brauche, um Gefährder nach Deutschland zu bringen. Der CDU-Politiker warnte zugleich davor, Flüchtlinge unter einen Generalverdacht zu stellen.

De Maizière will auch nach den jüngsten Festnahmen dreier Terrorverdächtiger, die am selben Tag noch von Hamburg nach Karlsruhe geflogen wurden, wo sie dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt wurden, keinen Eindruck mangelnder Kon-trolle oder gar der Panik aufkommen lassen. Die Bedrohung habe sich nicht verändert: „Die Sicherheitslage ist unverändert ernst, die Gefahrenlage hält an“, sagte der Bundesinnenminister. Allerdings gebe es nach den bisherigen Ermittlungen keine Hinweise, dass die drei Terrorverdächtigen auch bereits konkrete Pläne zu Anschlägen in Deutschland hatten. Es könnte sich also um eine „Schläferzelle“ des IS gehandelt haben.

Der Bundesinnenminister hatte schon in der Vergangenheit mehrfach vor einem möglichen Terroranschlag in Deutschland gewarnt und dabei stets betont, dass die Gefahr im Land zwar nicht konkret, aber doch abstrakt sei. Schon in den Tagen des Terroranschlags auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hatte der Bundesinnenminister gesagt: „Wir haben Grund zur Sorge und zur Vorsorge, aber nicht zur Panik.“

Und auch nach den Anschlägen am 13. November vergangenen Jahres auf den Musikclub „Bata-clan“ in Paris, mehrere Cafés sowie in der Nähe des Stadions „Saint Denis“ während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland vermied es der oberste Hüter über Sicherheit und Ordnung in Deutschland, ein Gefühl der Angst zu verbreiten.

Die Absage eines Fußball-Länderspiels in Hannover, wenige Tage nach dem Terror in Paris im vergangenen November, brachte de Maizière allerdings massive Kritik ein. Er verzichtete auf eine Begründung für die Absage des Fußball-Klassikers gegen die Niederlande mit den Worten: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Mit seinem unglücklichen Versuch, die Lage zu beruhigen, hatte der CDU-Politiker erst recht für Unruhe und neue Fragen gesorgt. Damals soll der Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes vorgelegen haben, ein sogenannter „Schläfer“ aus dem Irak, der im Weserbergland lebt, könnte vor, während oder nach dem Länderspiel in Hannover zuschlagen.

Nach den jüngsten Festnahmen spricht de Maizière nun erneut über eine mögliche „Schläferzelle“, die der IS in Deutschland habe installieren wollen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht ähnlich wie de Maizière die Sicherheitsbehörden in Deutschland gut aufgestellt. Die Festnahmen zeigten, „dass unsere Behörden sehr entschlossen gegen mutmaßliche Terroristen vorgehen“. Der Bundesinnenminister wiederum hatte die „hervorragende Arbeit“ von Polizei und Nachrichtendiensten bis zur Festnahme der drei Syrer gelobt. Die Sicherheitskräfte operierten im Modus: „Wachsam und entschlossen“.

Für den Bundesinnenminister ist unstrittig, dass der IS auch künftig nicht gegen ein Land speziell vorgehen wird. Es gehe der Terrormiliz nicht um Frankreich oder um Deutschland oder um einen anderen einzelnen Staat in Europa. Es sei ein Feldzug des IS gegen den Westen insgesamt. Die Terrorgefahr bleibe latent: jederzeit und überall.

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