Kommentar zur Lage der SPD Zukunftssuche

Meinung | Berlin · Erst krank, dann obskure Rücktrittsgerüchte: Sigmar Gabriel meldet sich zurück und versucht, die verunsicherte SPD ein bisschen nach links zu rücken. Doch das Problem sitzt tiefer.

 Auftakt zur "Wertekonferenz Gerechtigkeit": Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

Auftakt zur "Wertekonferenz Gerechtigkeit": Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

Foto: dpa

Wahrlich, die SPD ist in der Krise. Und dies nicht erst, seit am Wochenende das haltlose Gerücht in die Welt gesetzt wurde, der Rücktritt von Parteichef Sigmar Gabriel stehe unmittelbar bevor. Das Problem sitzt tiefer, hat auch, aber nicht nur mit Gabriel zu tun, der in der Tat mit einem recht kurvigen Kurs Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Das wissen auch jene, die auf Gabriel folgen müssten, wenn der Vorsitzende hinschmeißen würde. Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz oder der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz werden seit Monaten als erste Wahl gehandelt. Hätten sie Gabriel stürzen wollen, es wäre längst geschehen. Aber sie scheuen die Herausforderung, weil keiner in der Parteiführung weiß, wie der Sinkflug in den Umfragen gestoppt und zugleich der Unmut in der Partei gelindert werden kann.

Die SPD leidet an sich selbst. An ihrer Vergangenheit. An ihrem Anspruch, Partei der sozialen Gerechtigkeit zu sein und an der Realität, dass eben dies der SPD immer weniger Menschen abnehmen. Deshalb ist Gabriel den einzig richtigen Schritt gegangen: Er eröffnet die Debatte über die Frage, was die SPD eigentlich ausmacht.

Das klingt für eine Programmpartei wie die SPD banal, ist es aber nicht. Die Basis, zutiefst beunruhigt und aufgebracht, ist kaum mehr berechenbar. Die Diskussionen sind für den geschwächten Vorsitzenden deshalb schwer zu steuern. In einer Zeit, in der die SPD gemeinsam mit der Union Regierungsverantwortung trägt, ist das hochriskant. Denn viele Mitglieder geben der SPD nur dann eine Zukunft, wenn die Partei das Rad einfach zurückdreht und die Sozialstaatsreformen der Agenda 2010 komplett rückabwickelt.

Die Partei läuft deshalb Gefahr, endgültig in der Nische linker Sozialstaatsromantik zu verkümmern, wenn sie sich in grenzenlosem politischem Narzissmus wieder nur einzig und allein mit sich selbst, der eigenen Historie und nicht mit der Zukunft beschäftigt. Gleichwohl ist es richtig, dass Gabriel die soziale Frage neu stellt, um darauf eine neue, eine moderne Antwort geben zu können. Es muss der SPD dabei jedoch gelingen, weg vom Image der Sozialstaatsklempnerei zu kommen. Das bedeutet ja nicht, dass die SPD sich nicht mehr um Altersarmut, unbestreitbare Missstände im Niedriglohnsektor oder um Auswüchse bei der Leih- und Zeitarbeit kümmern sollte. Und dort, wo die Agenda 2010 trotz unbestreitbarer Erfolge zu sozialen Verwerfungen führte, muss die SPD korrigieren.

Aber bevor sich die Partei wieder ausschließlich in Detaildebatten verliert, sollte sie sich erst mal im Klaren darüber sein, welche Menschen die SPD als moderne linke Partei erreichen will und kann. Denn wenn die SPD weiterhin nur den klassischen Arbeiter als Zielgruppe ausmacht, dann muss sie sich nicht wundern, wenn es noch weiter bergab geht.

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