Münchner Sicherheitskonferenz Zwischen kaltem und heißem Krieg

München · Vor 40 Stunden haben sie noch einen Erfolg vermeldet: Waffenstillstand für Syrien. Aber jetzt plagen Sergej Lawrow schon wieder Zweifel.

 Krisendiplomat: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in München.

Krisendiplomat: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in München.

Foto: dpa

Der russische Außenminister muss sich gerade vom britischen Amtskollegen Philip Hammond anhören, dass der Kreml endlich seine Kampfjets am Boden lassen müsse, die in Syrien unaufhörlich zur Unterstützung der Streitkräfte von Machthaber Baschar al-Assad auch Stellungen gemäßigter Rebellen angreifen.

US-Außenminister John Kerry verlangt, Russland solle sich "auf andere Ziele konzentrieren". Die Staatengemeinschaft befinde sich an einem "Wendepunkt". Entscheidungen der kommenden Wochen könnten den Krieg in Syrien beenden, sie könnten ihn aber auch noch einmal verschärfen. Lawrow ist sichtlich angefressen. Überall nur Gegner bei dieser 52. Münchner Sicherheitskonferenz: Human Rights Watch-Direktor Kenneth Roth will von Lawrow wissen, wie lange der Abwurf von Fassbomben noch gehen soll. Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour hält dem Russen vor, die Belagerung Hunderttausender Menschen durch Streitkräfte von Machthaber Assad sei ein "Kriegsverbrechen".

Na gut, dann eben ein klares Wort: "Ich habe jetzt langsam Zweifel, ob dieses Treffen von München wirklich ein Erfolg ist", lässt der russische Chefdiplomat die versammelten Regierungschefs und Minister im Saal und auch die Welt da draußen an den Krisenherden wissen. Es klingt wie eine Drohung: Russland könne auch wieder aussteigen aus jener Staatengemeinschaft, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die politischen Gespräche zwischen syrischer Regierung und syrischer Opposition wieder in Gang zu bringen.

Die Chancen auf eine Umsetzung der Waffenruhe für Syrien inklusive der humanitären Zugänge für insgesamt 15 Städte und Regionen in Syrien sinken jetzt beinahe im Minutentakt. Gerade noch hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Erfolgsaussichten auf vorsichtig optimistische "51 Prozent" taxiert. "Ohne eine Entschärfung des Konfliktes in Syrien werden wir dauerhaft an den Symptomen der Flüchtlingskrise arbeiten, aber nicht an der Wurzel", warnt Steinmeier. Konferenzchef Wolfgang Ischinger plagt nach Lawrows Auftritt der Eindruck, die Chancen seien offenbar "weniger als 50 Prozent". Lawrow murmelt schnell noch etwas von "49 Prozent" ins Mikrofon, als sein britischer Amtskollege Hammond die Aussichten bereits "ziemlich in der Nähe von Null" sieht. So viel zur Halbwertzeit diplomatischer Ergebnisse zur Beilegung der Syrien-Krise.

Einige Tausend Kilometer weiter nordöstlich sieht es an einer anderen Krisenregion der Erde nicht viel besser aus. Der Waffenstillstand in der Ukraine ist brüchig. Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew hat sich mit Lawrow offenbar auf eine Arbeitsteilung für ihre Auftritte in München verständigt: Lawrow zeigt sich moderat angriffslustig, Medwedew darf den Scharfmacher geben, ganz nach dem Vorbild von Präsident Wladimir Putin, der bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 in einer mittlerweile legendären Brandrede über den Westen hergefallen war. Medwedew bemüht sich also erst gar nicht, Differenzen kleinzureden. Er sagt: "Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland sind verdorben." Und schon ist man wieder drin im Kalten Krieg. Oder in einem Heißen Krieg, je nach Blickwinkel. Medwedew legt noch nach: "Wir sind in die Zeiten eines neuen Kalten Krieges abgerutscht."

Steinmeier versucht zwar später, die Wogen zu glätten. Er habe Medwedew so verstanden, man müsse alles tun, um einen neuen Kalten Krieg zu vermeiden. Doch Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite hat die Temperatur flugs gemessen: heiß, nicht kalt. Für Grybauskaite steht mit Blick auf die Lage im Osten der Ukraine fest: "Wahrscheinlich stehen wir eher vor einer Art Heißer Krieg." Was sich in der Ukraine abspiele, "das ist alles andere als kalt. Das ist jetzt schon heiß." Lawrow sieht weiter überall Gegner: "Die Nato und die EU weigern sich, mit Russland zusammenzuarbeiten. Sie bezeichnen uns als ihren Feind." Kalter Krieg ganz heiß. Dabei hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Russen auf offener Bühne noch versichert: "Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg". Aber die Allianz bleibe bei ihrer Linie, "jede Einschüchterung oder Aggression abzuschrecken - nicht um Krieg zu führen, sondern um ihn zu verhindern".

Immerhin: Mit Lawrow habe er darüber gesprochen, den wegen des Ukraine-Konfliktes ausgesetzten Nato-Russland-Rat womöglich wiederzubeleben. "Es ist hilfreich, dieses Werkzeug zu nutzen", so Stoltenberg. Doch Russland müsse auch wissen: "Wir haben klare Prinzipien." Grenzen dürften nicht verschoben werden, wie auf der Halbinsel Krim geschehen. Und: "Souveräne Nationen haben das Recht, ihren Weg selbst zu bestimmen."

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko will Medwedews Rede erst gar nicht kommentieren: "Denn die war klar und verständlich." Aber an den Machthaber im Kreml hat Poroschenko dann doch eine klare Botschaft: "Herr Putin, das ist kein ukrainischer Bürgerkrieg. Das ist Ihre Aggression!" Wer nicht glaubt, dass beinahe täglich russische Truppen "über die Grenze in mein Land kommen", dem will der ukrainische Präsident gerne Satellitenbilder zeigen oder Drohnenaufnahmen vorlegen, die den hybriden Krieg Russlands im Osten der Ukraine beweisen sollen. Im vergangenen Jahr noch hatte Poroschenko nach München eigens Pässe und Militärausweise russischer Soldaten mitgebracht, die ukrainische Einheiten bei deren Festnahme entdeckt hatten. Am Ende schickt Poroschenko dann noch einen Gruß nach Moskau: "Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Und der Sieg wird auf unserer Seite sein." Er sei Optimist, nicht Pessimist, lässt Poroschenko seine Zuhörer noch wissen. "Wenn Sie ein Pessimist sind, dann verlieren Sie den Krieg und dann verlieren Sie das Land."

Bei derart viel Blei im Saal versammelt Steinmeier die Kollegen aus Russland, der Ukraine und Frankreich im sogenannten Normandie-Format. Das Abkommen von Minsk, vor einem Jahr unterzeichnet, muss endlich in der Wirklichkeit ankommen. Am Ende des Tages ist auch dies nur ein mühsamer Schritt. Steinmeier bleibt nicht viel mehr als ein Appell: "Ich setze darauf, dass in Kiew und Moskau allen Verantwortlichen klar ist, dass wir nicht mehr ewig Zeit haben für die Umsetzung des in Minsk Vereinbarten."

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