Interview mit Politikforscher Karl-Rudolf Korte "Die AfD ist Unmutsaufsauger"

Der Duisburger Parteienforscher Karl-Rudolf Korte räumt einer AfD ohne deren Bundesvorsitzenden Bernd Lucke keine großen Chancen ein.

 Hat's nicht immer einfach mit seiner Mannschaft: Der AfD-Vorsitzende in NRW, Marcus Pretzell, kürzlich auf dem Landesparteitag in Siegen.

Hat's nicht immer einfach mit seiner Mannschaft: Der AfD-Vorsitzende in NRW, Marcus Pretzell, kürzlich auf dem Landesparteitag in Siegen.

Foto: dpa

Norbert Wallet sprach mit dem Forscher über Machtkämpfe und Perspektiven der Partei.

Hat die AfD ohne Bernd Lucke eine Überlebenschance?

Karl-Rudolf Korte: Nein, dazu spielt der Gründungsvater der AfD für die Mobilisierung in der bürgerlichen Mitte eine zu große Rolle. Er spricht wichtige finanzpolitische Themen an, vor allem die Euro-Thematik. Das hat die Partei stark gemacht.

Nehmen wir an, er setzt sich im Machtkampf mit dem rechten Parteiflügel durch. Ist denn eine rein bürgerlich-liberal gewendete AfD ohne den rechtspopulistischen Akzent wählerwirksam genug?

Korte: Nein, das reichte nicht. Erfolgreich kann die AfD nur sein, wenn sie ergänzend zum liberal-konservativen Lucke-Kurs auch weiter als Protestpartei wahrgenommen wird. Ein Drittel der Wähler, die sie bislang hatte, waren ausschließlich Anti-Etablierten-Wähler, die sich in der bisherigen Politik nicht vertreten sahen. Die AfD nimmt bewusst das diffuse Gefühl des "Sich-Fremd-Fühlens im eigenen Land" auf. Das scheint anzusprechen. Protestpartei muss die AfD also bleiben. Inwieweit die Partei Ressentiments, zumal anti-islamistische Ressentiments, bedienen muss, ist ja in der AfD hoch umstritten. In diese Richtung sehe ich auch keine wirkliche Chance für die AfD.

Das heißt, der Parteirechte Alexander Gauland hat also Recht, wenn er vor einer Spaltung warnt und dafür wirbt, dass sich Lucke mit den Nationalkonservativen verständigt?

Korte: Ja, das sehe ich so. Ein eurokritischer, teils auch neoliberaler Grundzug in der Mischung mit nationalkonservativen Aspekten könnte durchaus für Wähler attraktiv sein, weil es die AfD klar von anderen politischen Angeboten unterscheiden würde - zum Beispiel von der FDP. Aber es gibt eine wichtige Grenze: Sobald die Partei in einer rechtsextremen Schmuddel-Ecke verortet wird, etwa durch die starke Betonung der Islamkritik, sehe ich wenig Chancen, die Fünf-Prozent-Marke zu überspringen.

Wie wichtig sind überhaupt profilierte Köpfe? Funktioniert die AfD nicht eher als anonyme Projektionsfläche für jedweden Missmut?

Korte: Die AfD funktioniert zweifellos als Unmutsaufsauger. Ein solches politisches Frustventil braucht für die Mobilisierung natürlich in viel geringerem Maße eine Personalisierung. Das zeigen viele zurückliegende Landtagswahlen, wo die AfD-Kandidaten völlig unbekannt waren. Bundespolitisch ist es aber wichtiger, auch über Personen erkennbar zu sein. Da hat Lucke seine Funktion.

Fazit: Die AfD muss zusammenbleiben und eine Form des Miteinanders beider Flügel finden, sonst verschwindet sie - richtig?

Korte: Ja. Eine Partei muss immer gesellschaftliche Strömungen widerspiegeln. Und das Ringen unterschiedlicher Strömungen in einer Partei macht sie interessant. Die FDP in ihren besten Jahren hatte zwei ausgesprochen deutlich erkennbare Flügel, auch bei den Grünen ist das bis heute so. Das ist kein Nachteil. Aber eine Partei muss entscheidungsfähig bleiben.

In vielen europäischen Ländern haben sich rechtspopulistische Parteien etabliert. In Deutschland war das bislang noch nicht der Fall. Wäre es für unsere politische Kultur ein Vorteil, wenn man dieses vagabundierende Unmutsgefühl auch parteipolitisch ins parlamentarische System integrieren könnte?

Korte: Ganz anders als viele deutsche Nachbarländer ist die deutsche Gesellschaft extrem stark zur Mitte orientiert. Wir haben eine Schlichtungsdemokratie. Von Ressentiments getriebene Wähler gibt es aber auch in Deutschland. Die politische Mitte in Deutschland hat die Pflicht, sich mit diesen Wählern und ihren Themen auseinanderzusetzen. Dort muss das diskutiert werden - in der Mitte, das darf man nicht den Rändern überlassen. Das wortlos zu übergehen wäre ein Zeichen von Machtarroganz. So entstehen Defizit-Parteien wie die AfD. Die nimmt nicht abgedeckte Themen auf. Grundsätzlich gilt aber: Viel-Parteien-Parlamente sind auch ein Abbild einer sehr pluralen Gesellschaft. Der Empörungsort für Wutbürger soll auch das Parlament sein - nicht nur die Straße.

Zur Person

Karl-Rudolf Korte (56) hat in Mainz und Tübingen Politik, Germanistik und Pädagogik studiert. Seit 2003 arbeitet er an der Universität Duisburg-Essen als Professor für Politikwissenschaft, seit 2006 ist er zudem Direktor der "NRW School of Governance". 2008 erhielt er einen Ruf an die Universität Bonn auf eine Professur für Wissenschaft von Politik. Korte hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen bekommen, darunter 2006 die Ehrung "Professor des Jahres" in der Kategorie Gesellschaftswissenschaften durch "Unicum". Auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Vereinigung für Politische Wissenschaft haben ihn ausgezeichnet.

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