Referendum spaltet Griechenland Die "Nein"-Front bröckelt

Athen · Ministerpräsident Alexis Tsipras verwirrt mit seinem Kurs zunehmend auch die Menschen in Griechenland. Vor dem Referendum am Sonntag sendet er wiedersprüchliche Signale. Sein Rückhalt beginnt langsam zu bröckeln.

Eleni Terkisidou hat Angst. "Ich habe Tsipras gewählt, aber ich fürchte mich vor einem Grexit", sagt die 49 Jahre alte Inhaberin eines Inneneinrichtungsgeschäfts in Athen. "Ich will am Sonntag für 'Ja' stimmen", sagt sie - entgegen der Empfehlung des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Seit dieser die Volksabstimmung über den Streit mit den Geldgebern angekündigt hatte, habe sie etwa 50 Prozent weniger Kunden.

Mittlerweile geht es etlichen Griechen wie ihr. Mit seinem Schlingerkurs und den nicht absehbaren Folgen des für Sonntag (5. Juli) angesetzten Referendums verwirrt Tsipras nicht nur die Verhandlungspartner in Brüssel, sondern teilweise auch seine Landsleute.

In einer jüngsten Umfrage zeigte sich nun für Sonntag eine knappe Mehrheit für "Ja" und damit für eine Zustimmung zu den unlängst von den internationalen Gläubigern des Landes vorgeschlagenen Reformmaßnahmen. 47,1 seien für, 43,2 Prozent dagegen, ergab die Befragung unter 1000 Menschen aller Altersgruppen in verschiedenen Teilen des Landes, die die konservative Zeitung "Eleftheros Typos" veröffentlichte.

Der Tsipras-Kurs gibt Menschen im Land immer mehr Rätsel auf. "Er hat keinen Plan für den Fall, dass er das Referendum gewinnt" kritisiert die 20 Jahre alte Jurastudentin Alezini Loxa, die sich eigentlich als Tsipras-Unterstützerin bezeichnet.

Wichtige Infos für Griechenland-UrlauberIn den vergangenen Tagen lehnte der griechische Regierungschef erst ein letztes Angebot des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ab, dann schickte er einen Brief nach Brüssel, dass er die Forderungen im Grundsatz akzeptiere - allerdings mit ein paar Modifikationen. Und schließlich rief er die Griechen in einer TV-Rede auf, das Maßnahmenpaket der EU doch abzulehnen. Dabei ist die Frist aus Brüssel für dieses Paket am 30. Juni abgelaufen. Das Angebot sei nicht mehr existent, sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Die angesehene links-liberale Online-Zeitung "To Vima" rechnete nun schonungslos mit Tsipras ab: "Herr Ministerpräsident, das Land ist dank Ihrer Fehler und ihrer Entscheidungen praktisch bankrott", schrieb das Blatt in einem Leitartikel, der wie ein Brief an den Regierungschef abgefasst war. "Erkennen Sie endlich an, dass Sie das Volk in ein spalterisches Referendum führen."

Befürworter und Gegner der Tsipras-Linie stehen sich mittlerweile immer erbitterter gegenüber. Auf den Straßen der Hauptstadt Athen - mit mehr als vier Millionen Menschen der mit Abstand größte Ballungsraum des Landes - demonstrieren nahezu täglich Tausende für oder gegen den Kurs des Ministerpräsidenten.

Auch innerhalb der Links-Rechts-Regierung löst das geplante Referendum nun Spannungen aus. Beim rechtspopulistischen Koalitionspartner ANEL (Unabhängige Griechen) verlangten Abgeordnete, die Volksabstimmung abzusagen. Andere kündigten an, entgegen der Empfehlung von Tsipras mit Ja zu stimmen.

Erstmals brach nun auch der ehemalige konservative griechische Ministerpräsident Kostas Karamanlis (2004 - 2009) nach Jahren sein Schweigen und wandte sich in einer symbolisch bedeutsamen Ansprache ans griechische Volk. Der Neffe des früheren Staatspräsidenten Konstantin Karamanlis beschwor die Menschen für Ja und für Europa zu stimmen - "nicht aus finanziellen Gründen, sondern damit Griechenland im Herzen Europas bleibt". Sein Onkel hatte 1974 nach der Militärdiktatur die Demokratie in Griechenland gestärkt und das Land Anfang der 1980er Jahre in die Europäische Gemeinschaft (EG) geführt.

Währenddessen bildeten sich im Land auch am vierten Tag der Kapitalverkehrskontrollen und der geschlossenen Banken wieder einige Schlangen vor Geldinstituten und -automaten. 1000 Filialen in ganz Griechenland öffneten wie bereits am Vortag ausschließlich für Rentner, die keine Bankkarten haben. Sie sollten so an Bargeld kommen.

Angesichts dieser Situation gewinnen einige Menschen dem Referendum noch ganz andere positive Seiten ab. "Ich bekomme als Wahlhelferin 387,44 Euro", sagt die 33 Jahre alte Rechtsanwältin Nasia Charisi. "Davon kann ich für zwei Monate Essen kaufen."

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