Interview mit Svenja Schulze Die NRW-Wissenschaftsministerin über den doppelten Abiturjahrgang

BONN · Wegen des doppelten Abiturjahrgangs strömen zum Wintersemester mehr Studenten als in anderen Jahren an die NRW-Hochschulen. Mit Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) sprachen Bernd Eyermann, Johanna Heinz und Raimund Neuß.

Wären Sie heute nochmal gern Studentin?
Svenja Schulze: Ja, sehr gern. Das war eine Zeit, in der ich mich sehr intensiv mit neuen Themen und Forschungsansätzen beschäftigt habe.

Worüber würde sich die Studentin Svenja Schulze denn heute Sorgen machen?
Schulze: Ich würde mir Gedanken machen, ob ich und andere bezahlbare Zimmer oder Wohnungen finden in einer Region wie Köln oder Bonn mit einem eh schon viel zu engen Wohnungsmarkt. Aber auch der Studentin Svenja Schulze wäre klar: Der Schlüssel liegt nicht nur beim Land - Initiativen vor Ort wie beispielsweise die Bonner Aktion "Zimmer frei" für mehr privaten Wohnraum sind unverzichtbar.

Die Lage in den Unistädten wird sich noch verschärfen, wenn der doppelte Abiturjahrgang an die Hochschulen kommt. Können die den Andrang bewältigen?
Schulze: Ich gehe davon aus, dass es die Hochschulen schaffen werden.

[kein Linktext vorhanden]Was macht Sie so optimistisch?
Schulze: Die Generalprobe war der doppelte Abiturjahrgang in Niedersachsen, den die Hochschulen in den grenznahen Gebieten gut hinbekommen haben.

Wie viele Studenten werden kommen? Und wie viele bekommen keinen Studienplatz?
Schulze: Um darauf sicher antworten zu können, müssten wir jetzt schon wissen, was die Studienanfängerinnen und -anfänger im Wintersemester studieren wollen.

Aber Sie müssen doch mit bestimmten Zahlen planen?
Schulze: In einem normalen Jahrgang kommen 80.000 bis 85.000 Studienanfängerinnen und -anfänger. Für das Wintersemester rechnen wir mit 120.000 bis 125.000.

Das heißt: Es wird eng. Die Uni Bonn hat erklärt, ihr fehlen 8700 Quadratmeter Hörsäle und Seminarräume. Die Uni Duisburg-Essen plant mit Zelten und Containern. Klingt problematisch.
Schulze: Es wird enger, aber die Hochschulen haben Vorsorge getroffen und sind gut vorbereitet. Zusätzlich gibt es kluge Übergangslösungen. Es ist immer noch besser, eine Vorlesung im Kino zu hören als gar nicht. Die Hochschulen gehen mit der Situation kreativ um. Die zusätzlich geschaffenen Plätze reichen aber aus, um allen, die in NRW studieren wollen, auch einen Studienplatz anzubieten. Wenn auch nicht alles an jedem Ort und in jedem Fach.

Wie viele Plätze werden denn zusätzlich geschaffen?
Schulze: Allein hier in der Region Köln/Bonn werden es rund 22.500 sein. Zum Vergleich: An der größten deutschen Fachhochschule, der Fachhochschule in Köln, haben sich im vergangenen Wintersemester rund 3800 Studienanfängerinnen und -anfänger eingeschrieben.

Wird es einen Stau an Studenten geben?
Schulze: Einen Stau kann ich nicht erkennen. Richtig ist: Bis 2020 werden wir uns auf einem Hochplateau bewegen, sprich: eine sehr hohe Auslastung haben.

Und danach?
Schulze: Vielleicht wird es an der ein oder anderen Stelle ein kontrolliertes Schrumpfen geben. Aber es werden auch neue Personengruppen - berufserfahrene, Personen mit anderen Bildungsbiografien oder Migranten - an die Hochschulen kommen.

Der große Andrang an Studenten führt dazu, dass für immer mehr Studiengänge ein Numerus clausus gilt. Werden so nicht viele ausgeschlossen, die sehr engagiert sind?
Schulze: 42 Prozent aller Studiengänge sind zulassungsfrei. 38 Prozent an Universitäten, 51 Prozent an Fachhochschulen. Wer sich auf einen dieser Studiengänge bewirbt, kann sicher sein, sofort und an der Wunschhochschule einen Studienplatz zu bekommen.

Ist das nicht ein bisschen wenig?
Schulze: Aus den Erfahrungen der Vorjahre wissen wir, dass in zulassungsbeschränkten Studiengängen auch Kandidatinnen und Kandidaten mit einer drei vor dem Komma im Abi zum Zuge gekommen sind. Zugleich muss man sich deutlich machen, dass Zulassungsbeschränkungen dazu dienen, die Qualität zu halten und zugleich die bestehenden Ressourcen bestmöglich zu nutzen.

Und Studenten haben trotzdem eine Chance?
Schulze: Nehmen Sie Maschinenbau-Technik an der RWTH Aachen. Da lag im vergangenen Wintersemester der NC bei 3,46.

Welche Tipps können Sie denn angehenden Studenten geben?
Schulze: Das Wichtigste ist, sich nicht abschrecken zu lassen. Die Hochschulen haben viel gebaut, mehr Personal eingestellt und viele zusätzliche Plätze eingerichtet, die zum Wintersemester weiter aufgestockt werden. Wichtig ist, sich gut beraten zu lassen.

Im Internet und vor Ort?
Schulze: Die erste Wahl ist immer noch die Studienberatung an den Hochschulen. Das kann eine große Suchmaschine im Netz nicht leisten. Die Studienberaterinnen und -berater an den Hochschulen helfen auch dabei, die eigenen Neigungen kennenzulernen. Der allerwichtigste Tipp ist nämlich, das zu studieren, wozu man auch den nötigen Biss hat.

Nicht darauf zu gucken, was sinnvoll ist?
Schulze: Ein Studium dauert ein paar Jahre. Was dann gefragt ist, weiß man jetzt noch nicht.

Studenten kritisieren oft, dass Lehrende an den Hochschulen wenig von Pädagogik verstehen. Wie wollen Sie das verbessern?
Schulze: Wir haben bisher kaum Kriterien, die Lehre zu bewerten. Eine pauschale Professorenschelte halte ich aber für falsch. Wichtig ist mir, dass erfolgreiches Studieren für Hochschulen zur Handlungsmaxime wird. Ich will Hochschulen, die es sich zum Ziel setzen, jeden Studienanfänger zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Tun Sie etwas dafür?
Schulze: Wir wollen den Einstieg in ein Studium verbessern und vor allem die Abbrecherquote senken.

Reden wir über die Finanzierung: Bis 2015 erhalten Sie über den Hochschulpakt II zwei Milliarden Euro mehr - davon eine Milliarde vom Bund. Wie sieht es langfristig aus? Sind Studiengebühren gestorben?
Schulze: Die Diskussion ist jetzt ja selbst in Bayern tot. Natürlich kostet Bildung Geld, aber in Deutschland geht das nur aus vorhandenen Steuergeldern. Studiengebühren passen, anders als in den USA, nicht in unser System. Wir wollen vor dem Besuch der Hochschule nicht abschrecken, indem wir Gebühren nehmen, sondern mit Blick auf den demografischen Wandel alle Potenziale heben.

Die Hochschulen haben unter CDU und FDP mehr Freiheiten gewonnen. Sie wollen die wieder zurückführen. Warum?
Schulze: Ich will das Hochschulrecht weiterentwickeln und die Hochschulen zukunftsfest machen.

In den Universitäten wird es aber zuweilen so empfunden, dass Sie die Hochschulautonomie zurückführen wollen?
Schulze: Die Forschungsfreiheit ist im Grundgesetz verankert, die Autonomie ist von Sozialdemokraten nach vorn gebracht worden. Warum soll ich das Erbe der SPD in Frage stellen?

Worum geht es Ihnen denn?
Schulze: Darum, dass wir in der Zeit des knappen Geldes Transparenz über die Mittelverwendung bekommen. Außerdem wollen wir als Land besser planen können. Wenn 37 Hochschulen allein planen, kommt am Ende nicht das Landesinteresse heraus.

Wie meinen Sie das?
Schulze: Nehmen Sie die Ausbildung der Berufsschullehrer. Es würde die gesamte duale Ausbildung in den Unternehmen wegbrechen, wenn zukünftig keine erstklassigen Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer ausgebildet würden - hier braucht es eine landesweite Planung, weil nicht alle gesellschaftlichen Interessen und Anforderungen über den Wettbewerb geregelt werden können.

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