Angela Merkel in China Die stille Diplomatin

PEKING · Schon mit der Auswahl des Ortes wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Zeichen setzen: Anders als auf ihren bisherigen sechs China-Reisen sollten dieses Mal nicht nur Wirtschaftsfragen ein zentrales Anliegen sein, sondern auch die sozialen Probleme und Belange der Zivilgesellschaft.

 Die Aromen Asiens: Angela Merkel bei einem Marktbesuch in der 14-Millionen-Stadt Chengdu, mit der die Stadt Bonn partnerschaftliche Beziehungen pflegt.

Die Aromen Asiens: Angela Merkel bei einem Marktbesuch in der 14-Millionen-Stadt Chengdu, mit der die Stadt Bonn partnerschaftliche Beziehungen pflegt.

Foto: dpa

Die erste Station ihrer insgesamt dreitägigen Reise führte sie gestern nach Chengdu, der 14-Millionen-Hauptstadt der Provinz Sichuan im tiefen Südwesten der Volksrepublik. Die dicht besiedelte Provinz ist bekannt für ihre Millionen von Wanderarbeitern, die seit Jahrzehnten durchs Land ziehen und für wenig Geld auf den Baustellen und in den Fabriken ihre Arbeit anbieten. Merkel besuchte gestern Vormittag eine Einrichtung, die sich speziell um die Probleme der Familien dieser Arbeiter kümmert und eröffnete den deutsch-chinesischen Dialog, der sich explizit als "zivilgesellschaftliches Forum" versteht.

Doch von einer neuen Schwerpunktsetzung ihrer China-Politik kann weiterhin nicht die Rede sein. Merkels Besuch der Sozialeinrichtung dauerte nicht einmal eine Stunde. Und das Forum entpuppte sich als ein weiteres Gremium, das sich vor allem aus Wirtschaftsvertretern zusammensetzt. Begleitet wird Merkel auch dieses Mal von einem Tross der deutschen Wirtschaftselite, darunter Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen, Siemens-Boss Joe Kaeser und Volkswagen-Chef Martin Winterkorn. Die Menschenrechte wollte Merkel nach Angaben aus Regierungskreisen bei ihren Gesprächen mit Ministerpräsident Li Keqiang am Abend und mit Staatspräsident Xi Jinping am nächsten Tag ansprechen. Näheres wurde nicht bekannt.

Damit hält Merkel an ihrer bisherigen China-Politik fest. Ein einziges Mal - zu Beginn ihrer Amtszeit - hatte sie den Dalai Lama empfangen und sofort den Unmut der chinesischen Führung auf sich gezogen. Seitdem hat sie es vermieden, Chinas Führung wegen immer wiederkehrender Missachtung der Menschenrechte allzu öffentlich an den Pranger zu stellen. Mit ihrer so genannten "Stillen Diplomatie" setzte sie sich zwar sehr wohl für einzelne Dissidenten ein - aber nur hinter verschlossenen Türen.

Auf diese Weise hat die Bundesregierung einiges erreicht. Dem sozialkritischen Schriftsteller Liao Yiwu verhalf sie 2010 zur Ausreise nach Deutschland. Und auch der berühmte Künstler Ai Weiwei soll 2011 angeblich erst auf Bitten der Bundesregierung nach 81 Tagen aus der Haft entlassen worden sein. Offiziell bestätigte sie ihr Engagement nicht. Peking wusste es zu schätzen, dass Merkel dieses Thema nicht an die große Glocke hängt.

Doch Experten bezweifeln, ob Merkel auch künftig diese Mittlerrolle aufrechterhalten kann. Angesichts zunehmender Spannungen, die etwa im Zusammenhang mit den derzeitigen Demokratieprotesten in Hongkong oder auch den Territorialkonflikten mit Chinas Nachbarn ausgelöst werden könnten, werde sich Deutschland positionieren müssen, schreibt Sebastian Heilmann vom Mercator Institut für China-Studien (Merics) in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Wir sollten uns auf Erschütterungen im Verhältnis zu China einstellen."

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