Merkel und Hollande treffen Tsipras Ein nächtlicher Krisengipfel

BRÜSSEL · Fast schon demonstrativ hatten die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident den gesamten Mittwoch über betont, für ein Krisengespräch mit dem griechischen Premierminister gebe es keinen Termin.

Am späten Abend dann die Wende: Nach einem "kurzen und freundlichen Meinungsaustausch" zwischen Alexis Tsipras und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der heute fortgesetzt werden soll, kamen Angela Merkel und François Hollande sowie der Ministerpräsident aus Athen doch noch zusammen. Man werde über "Lösungen in der Schuldenkrise" sprechen, hieß es vielsagend.

Tatsächlich ging es aber vor allem um ein Thema: Die Hellenen wollen weg von der Vorgabe, in diesem Jahr einen Primärüberschuss von einem Prozent erwirtschaften zu müssen. Höchstens 0,75 Prozent will der Staat ohne Berechnung des Schuldendienstes zulegen. Das Thema ist heikel, weil vor allem die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, einen vorzeigbaren Primärüberschuss braucht, um ihre Behörde davon zu überzeugen, dass die Hellenen am Ende ihre Kredite bedienen können. 1,6 Milliarden Euro werden allein bis Ende des Monats fällig.

"Es ist schwer für die griechische Seite, Zugeständnisse zu machen", räumte ein Athener Regierungsvertreter am Abend ungewohnt deutlich ein. "Aber wir sind bereit, darüber zu diskutieren, um eine Lösung zu finden." Die Frage des Primärüberschusses liege auf dem Tisch. Dass Tsipras allerdings nicht auf allzu große Offenheit treffen würde, hatte sich schon vorher angedeutet.

Merkel betonte zwar bei ihrem Eintreffen in Brüssel zum Lateinamerika-Gipfel, man wolle "Griechenland im Euro-Raum halten". Und: "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg." Sogar der mehrfach von Athen düpierte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem gab sich versöhnlich und erklärte, er bleibe "offen für Vorschläge", aber die dreiseitige Reformliste vom Dienstag sei "nicht gut genug" gewesen.

Alle Beteiligten hatten erkennbar genug von der "Unzuverlässigkeit" und "Doppelzüngigkeit" (so ein hoher EU-Diplomat), mit der der griechische Premier seine hochrangigen Gesprächspartner in den zurückliegenden Tagen mehrfach verärgerte. Denn Tsipras hatte mehrfach Einigungen, die in endlosen Telefonaten und Konferenzen mit Merkel, Hollande und Juncker erreicht worden waren, postwendend zu Hause wieder in Frage gestellt. Eine Einigung sei trotzdem "möglich", unterstrich gestern Valdis Dombrowskis, Vizepräsident der EU-Kommission, der für Euro-Fragen zuständig ist.

Diese erfordere aber "wirklichen politischen Willen, vor allem von der griechischen Seite - also weniger taktisches Manövrieren und mehr substanzielle Arbeit". Die gibt es noch reichlich. Denn nicht nur die Höhe des Primärüberschusses, sondern auch die Reformen des Rentensystems, der Mehrwertsteuer und des Arbeitsmarktes sind ungelöst. Dabei steht Athen einmal mehr unter Druck.

Ende Juni läuft das zweite Rettungspaket aus. Über 7,2 Milliarden Euro könnten die Griechen noch verfügen, wenn die Geldgeber mit den innenpolitischen Umbauten zufrieden sind. Ansonsten verfällt das Geld. Ein drittes Hilfspaket würde in unerreichbare Ferne rücken. Aber selbst bei einem Durchbruch sind Wochen nötig, damit sowohl der IWF wie auch einige nationale Parlamente wie der Bundestag einer Übereinkunft zustimmen könnten. In dieser Nacht ging es um nicht weniger als das Überleben Griechenlands.

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