Merkels Ehrentag Eine Geschichtsstunde zum 60.

BERLIN · Eine Lehrstunde. Selbst zum Geburtstag. Die Gäste sollen klüger gehen als sie gekommen sind. Und konzentriert bleiben, solange die Wissenschaft spricht: Erdbeer-Limetten-Limonade ja, wahlweise auch Kräuterlimonade, Alkohol zunächst nein.

 Freunde in der Politik: Unionsfraktionschef Volker Kauder gratuliert Angela Merkel.

Freunde in der Politik: Unionsfraktionschef Volker Kauder gratuliert Angela Merkel.

Foto: Dpa

Die Bundeskanzlerin feiert Geburtstag. Aber eine Sause muss es nicht werden. Selbst der Ort des Festes riecht nach Arbeit: das Konrad-Adenauer-Haus. Die CDU-Zentrale bleibt selbst zu diesem Anlass, dem 60. Geburtstag der eigenen Chefin mit 650 Gästen, ungeschmückt. Nichts für Glanz und Glamour.

Keine Geschenke, sondern lieber Spenden für die Carreras-Leukämie-Stiftung. Merkel erzählt später, dass sie am Tag mit Guido Westerwelle telefoniert habe, der an Leukämie erkrankt ist. Sie wünscht ihrem früheren Außenminister "alles, alles Gute" und erinnert daran, dass man zusammenstehen müsse - "in guten wie in schlechten Zeiten".

Aber bitte, neben vielen ehemaligen und aktuellen Weggefährten aus der Union und dem übrigen politischen Leben sind immerhin Herlind Kasner, Merkels Mutter, und Ehemann Joachim Sauer an diesem Abend mit in der Vorlesung des Historikers Jürgen Osterhammel von der Universität Konstanz.

Punkt 19 Uhr. Ein dreifacher Gong. Der Geburtstagsunterricht soll beginnen. Es dauert noch einige Minuten. Vorne nimmt SPD-Chef Sigmar Gabriel Platz, unverschämt braun gebrannt. Er hat zur Feier des Tages seinen Ostsee-Urlaub unterbrochen. Geschichtswissenschaftler Osterhammel hat das Wort - beim "Berliner Gespräch" über "Vergangenheiten: Über die Zeithorizonte der Geschichte."

Das Publikum lernt schnell: Zeit und Horizonte sind ein hoch komplexes Thema, erst recht, wenn sie zusammenhängen. Denn bei Professor Osterhammel erfährt man: "Der Horizont ist die bewegliche Grenze des Sichtbaren." Deutsche Historiker seien vor allem Fußball-Historiker: 1954, 1974, 1990 und 2014. Das haben alle im Saal verstanden.

Unionsfraktionschef Volker Kauder ist dran. Er spricht über "Wahrheit und geschützte Räume", ohne dass es am nächsten Tag in der Zeitung steht. Aber eines darf die Festversammlung doch wissen. Es geht um eine "dramatische Disharmonie" zwischen Merkel und ihm, anno 2001.

Kauder habe ihr damals als Generalsekretär der Südwest-CDU die Botschaft überbringen müssen, dass Baden-Württemberg Merkel für eine Kanzlerkandidatur nicht unterstütze. Die CDU-Chefin habe nur mit einem Wort geantwortet: "Schade." Heute seien Merkel und er Freunde, betont Kauder. Die "alberne These" sei damit widerlegt, es gebe keine Freundschaft in der Politik. "Wer hätte gedacht, dass die Männer dominierte CDU so etwas hervorbringt?", fragt Kauder noch. Gerade zuletzt hätten Politikdeuter in Berlin wieder über Merkels Zukunft gefragt: "Wann wird was kommen?" Kauder macht es kurz: "Wir sind dankbar, dass Du unsere Kanzlerin bist."

SPD-Chef Sigmar Gabriel lobt Merkel, die wie ein Echolot agiere und immer wissen wolle, was ihr Gegenüber antreibe. Ihr Führungsstil: hoch kommunikativ. Rente mit 63 - da war doch was? Merkel erreiche dieses Alter 2017 gegen Ende dieser Legislaturperiode, sagt Gabriel. Aber es gebe auch die Überlegung einer flexiblen Weiterbeschäftigung, wenngleich nicht zwingend , schiebt der SPD-Vorsitzende noch schelmisch hinterher. Merkel gibt ihren Gästen noch ein Bonmot von CSU-Chef Horst Seehofer mit: "Wenn es heute schön ist, muss es morgen nicht genauso sein." Man soll die Feste eben feiern wie sie fallen. Wenigstens zum 60.

Belgische Pralinen und ein Ständchen für "Frau Bundeskanzlerin"

Sie ging mit 59 hinein und kam als 60-Jährige wieder heraus: Bundeskanzlerin Angela Merkel begann ihren Geburtstag am Donnerstag im Kreis der Staats- und Regierungschefs. Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte sich neben dem obligatorischen Sekt, einem Blumenstrauß und einem deutschen Fußball-Weltmeisterschafts-Trikot mit den Unterschriften aller Staatschefs etwas Besonderes einfallen lassen: Die Regierungschefin, nach eigener Darstellung in Folge einer kleinen Kur erkennbar schlanker, bekam einen große Kiste mit belgischen Pralinen. In Brüssel gemeinhin als "Kalorienbomben" bekannt und gefürchtet.

Als sie wenig später, es war bereits kurz vor zwei Uhr am Donnerstagmorgen, mit den Brüsseler Auslandskorrespondenten zusammenkam, blühte ihr noch eine ganz besondere Ehre. ZDF-Studioleiter Udo van Kampen stimmte das Ständchen "Happy Birthday" an. Das geriet zwar ein wenig aus dem Takt und blieb zu dieser nächtlichen Stunde auch eher ein Solo des erfahrenen Kollegen. Aber er umschiffte wenigstens die drohende Vertraulichkeit, indem er anstatt des naheliegenden, aber unpassenden "liebe Angela" die Variante "Frau Bundeskanzlerin" wählte. Die lächelte ungewohnt strahlend und bedankte sich für das "erste und bisher einzige Ständchen" an diesem Ehrentag, den sie sich zweifellos anders vorgestellt haben dürfte.

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