Corona in China Eine gesundheitspolitische Tragödie

Peking · Überfüllte Notaufnahmen, sinkende Wirtschaftszahlen: Der Übergang zum „Leben mit dem Virus“ bringt das Land an seine Belastungsgrenzen. Erst ab Frühjahr dürfte sich die Lage bessern.

Corona-Patienten erhalten in der Notaufnahme eines chinesischen Krankenhauses Infusionen.

Corona-Patienten erhalten in der Notaufnahme eines chinesischen Krankenhauses Infusionen.

Foto: AP/Andy Wong

Das Zhongshan Krankenhaus in Schanghai zählt zu den renommiertesten Kliniken Chinas, mehr als vier Millionen Patienten werden hier jährlich behandelt. Doch seit einigen Tagen herrscht in den Gängen der riesigen Notaufnahme ein anhaltender Ausnahmezustand: Hektisch transportiert das Pflegepersonal riesige Sauerstoffbehälter durch die Korridore, viele von ihnen verrichten ihre Arbeit trotz Covid-Symptomen. Die meist älteren Patienten liegen zu Dutzenden in den Fluren herum, umrundet von besorgten Angehörigen. Einige der Kranken müssen gar bei einstelligen Celsius-Temperaturen im Freien ausharren, wo sie ihre Infusionen verabreicht bekommen.

In nur wenigen Wochen haben sich im Reich der Mitte mehrere Hundert Millionen Menschen infiziert. Die meisten von ihnen sind zwar bereits wieder genesen, was in den Metropolen Peking und Schanghai wieder zu gut besuchten Einkaufszentren und Restaurants geführt hat. Doch zeitversetzt hält weiterhin eine gesundheitspolitische Tragödie an, die wegen der systematischen Zensur für viele Chinesen im Verborgenen bleibt.

Unvorbereitetes Gesundheitssystem

Hinter den Kulissen zeigt sich allerdings deutlich, wie wenig das chinesische Gesundheitssystem auf den Ansturm an Infizierten vorbereitet ist. In den hastig errichteten Fieberkliniken des Landes beträgt die Wartezeit für eintreffende Patienten im besten Fall mehrere Stunden. In Peking berichteten Betroffene immer wieder davon, dass sie aufgrund des eklatanten Platzmangels ihre eigenen Betten mitbringen sollten.

Der größte Belastungstest bahnt sich in den chinesischen Hinterlandprovinzen an, wo die Krankenhäuser bereits zu Vor-Krisenzeiten unterbesetzt waren und die Ärzte nur rudimentär ausgebildet sind. Doch spätestens Mitte Januar wird die Corona-Welle auch die letzten Winkel des Landes erreichen. Zum traditionellen Neujahrsfest besuchen schließlich Millionen Chinesen ihre Familien in der Heimat. „Was uns am meisten Sorgen macht, ist, dass es drei Jahre her ist, seit die Menschen nach Hause reisen konnten, um das neue Jahr zu verbringen. Es könnte nun einen ganz besonders hohen Ansturm von Menschen aus den Städten aufs Land geben“, sagte kürzlich eine Vertreterin der Nationalen Gesundheitskommission im Staatsfernsehen.

Die Europäische Union, die auf einem Berg von bald ablaufenden Impfpräparaten sitzt, hat der chinesischen Regierung bereits kostenlose Lieferungen zugesichert. Bislang jedoch ist Peking eine Antwort schuldig geblieben. Das mag von außen betrachtet absurd wirken, doch Beobachter des Landes dürften vom Zögern der Regierung keineswegs überrascht sein: Bislang hat der chinesische Staat nach wie vor keine ausländischen Impfstoffe für die eigene Bevölkerung zugelassen, obwohl die mRNA-Vakzine von Biontech und Moderna den heimischen Totimpfstoffen von Sinopharm und Sinovac überlegen sind. Doch es überwiegt ganz offensichtlich der patriotische Stolz, und möglicherweise auch Bedenken der nationalen Sicherheit: Man möchte sich nicht vom Westen abhängig machen.

Die Anzahl an Corona-Toten wird von den Behörden de facto unter Verschluss gehalten. Nachdem die nationale Gesundheitskommission zuletzt nur mehr schöngefärbte Daten veröffentlichte, hat sie die täglichen Updates jüngst vollständig eingestellt. In den Staatsmedien lassen die Zensoren immerhin mittlerweile eine gewisse Pluralität zu. „Wir müssen zugeben, dass derzeit die Anzahl an Toten in China höher sein wird als in vorangegangenen Jahren“, sagte etwa Tong Zhaohui, Vize-Leiter des Pekinger Chaoyang-Krankenhauses, dem Fernsehsender CCTV.

Doch wer konkrete Zahlen in Erfahrung bringen möchte, muss sich mit Schätzungen aus dem Ausland begnügen, die ihre Prognosen auf unvollständigen Modellrechnungen stützen. Das Londoner Unternehmen „Airfinity“ ging zunächst von 5000 Corona-Todesfälle pro Tag aus, ehe es den Richtwert vergangene Woche auf insgesamt 9000 Tote nach oben korrigierte.

Positive Effekte der Corona-Öffnung sichtbar

Wirtschaftlich sind zumindest die positiven Effekte der Corona-Öffnung am Horizont sichtbar, doch kurzfristig wird der Übergangsprozess ebenfalls schmerzhaft sein. Der am Dienstag vom renommierten Wirtschaftsmagazin herausgegebene Einkaufsmanagerindex „Caixin“ ist im Monat Dezember ein weiteres Mal gesunken, auch der staatliche Einkaufsmanagerindex liegt derzeit auf dem niedrigsten Wert seit Februar 2020. Das bedeutet im Klartext: Die Wirtschaftstätigkeit der in China ansässigen Unternehmen ist Ende des Jahres signifikant geschrumpft.

Die rapide Corona-Welle könnte allerdings auch dazu führen, dass der Übergang zu einer Art post-pandemischen Normalität vergleichsweise schnell erreicht wird. Bislang haben die großen Investmentbanken ihre Wachstumsprognosen immerhin leicht nach oben korrigiert: Goldman Sachs geht etwa für das Jahr 2023 von vormals 4,8 Prozent von nun mehr 5,2 Prozent aus. Verglichen mit dem Niveau, auf dem sich die Volksrepublik vor der Pandemie befand, ist dies jedoch weiterhin zu niedrig.