Energiewende "Eine Revolution wie das Internet"

BERLIN/ST. MICHAELISDONN · Volker Nielsen, CDU-Politiker und Bürgermeister von St. Michaelisdonn an Schleswig-Holsteins Nordseeküste, hat einen Traum: eine Versorgung mit 100 Prozent grüner Energie bis 2035.

 Im Zentrum der aktuellen Debatte steht die Kürzung der Solarförderung.

Im Zentrum der aktuellen Debatte steht die Kürzung der Solarförderung.

Foto: dpa

"Einige Bürger sind bereits energieautark und treiben mit kleinen Windkraftanlagen auf ihrem Grundstück die Wärmepumpe an und haben damit die Warmwasserversorgung und das Heizen komplett mit erneuerbaren Energien abgedeckt." Wenn man dann noch Photovoltaikanlagen habe und Stromspeicher, könne man im ländlichen Raum eine Unabhängigkeit hinbekommen.

"Das sind dann Haushalte, die die Netze nicht belasten und den Ausbaubedarf verringern können." Nielsens Ort gilt als Vorreiter: Bürgerwindparks, Solaranlagen und Biogasanlagen erzeugen mehr Strom als man braucht. Im Boden liegt eine Kabeltrasse für den ersten Offshore-Windpark, drei weitere Kabelsysteme und eine 380-Kilovolt-Leitung über der Erde sollen noch hinzukommen.

Auch Volker Quaschning hat einen Traum. Der Wissenschaftler versucht, die wissenschaftliche Basis zu liefern, damit auch Ballungszentren in 30, 40 Jahren komplett mit Ökostrom versorgt werden können. Quaschning sitzt dort, wo einst die deutsche Elektrifizierung einen ihrer Ursprünge hatte.

Beim Blick aus seinem Bürofenster schaut der Professor für regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) auf die alte Villa von Emil Rathenau, dessen 1887 gegründete Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) hier Batterien und Glühlampen baute. Es ist ein trüber, regnerischer Morgen. Schlecht für die rund eine Million Solaranlagen in Deutschland.

Quaschning versucht mit den anderen Professoren an das anzuknüpfen, was Rathenau einst mit dem Import der Ideen von Thomas Alva Edison begann. Wo Rathenau mit dem Erhellen der Hauptstadt dank des "fabelhaft-zuverlässigen Edison-Lichts" für eine Sensation sorgte, geht es heute darum, dass der Strom für das Licht in einigen Jahrzehnten zu 100 Prozent mit Hilfe von Sonne, Wind, Geothermie, Wasser und Biomasse erzeugt werden kann.

Viele glauben nicht daran, Quaschning schon. Der 42-Jährige zitiert Physik-Nobelpreisträger Max Planck: "Neue Ideen setzen sich nicht deshalb durch, weil ihre Kritiker überzeugt werden, sondern weil sie aussterben." In das Jahr 2012 übersetzt heißt das: Mit den alten Energiekonzernen ist die Energiewende kaum zu schaffen. Rund 500 Studenten lernen hier, um den grünen Energietraum zu realisieren.

"Ab 2015 könnte sich der Eigenverbrauch bei der Photovoltaik rechnen", sagt Quaschning. Dann könnten sich Hunderttausende Bürger mit dem Sonnenstrom vom Dach selbst versorgen, statt ihn für dann wohl fast 30 Cent pro Kilowattstunde vom Versorger zu kaufen.

Mit Batteriespeichern im Keller könnten sie quasi energieautark werden, also bei viel Sonne überschüssigen Strom für trübe Tage speichern. Der Aspekt der Eigenversorgung werde massiv unterschätzt. Gerade in sonnenstarken Ländern könnte das die Versorgung auf die Kopf stellen. "Das wird eine Revolution werden, wie das Internet."

Quaschning dekliniert das weiter durch. "Setzt sich die Elektromobilität durch, könnte man quasi umsonst den eigenen Solarstrom tanken. Ein Riesenpotenzial." Daher kann er den Ärger über die Billigkonkurrenz aus China im Solarbereich auch nicht teilen. "Die Kosten, die wir bei der Photovoltaik heute haben, hätten wir sonst erst in zehn Jahren erreicht. Die Chinesen haben unsere Energiewende beschleunigt."

Er ist daher gegen Einschnitte, wie sie die Regierung plant. "Um die Kosten weiter zu senken und endgültig konkurrenzfähig zu werden, brauchen wir in den nächsten Jahren noch einmal hohe Zubauzahlen." Für die Energieversorger sei Solarenergie ein Graus, weil sie gerade mittags zu Spitzenlastzeiten mit ihren Kraftwerken nicht mehr so viel Geld verdienen können. "Bauen wir sie also schnell aus und schaffen Tatsachen", sagt er mit Blick auf Ausbremsversuche bei der Wende.

Im hohen Norden denkt auch Bürgermeister Nielsen über die Kostenfrage nach, denn das Streitthema Solar zeigt: Die Energiewende braucht gewaltige Anschubfinanzierungen, und das mitten in der Eurokrise. "Klimaschutz finden alle klasse, aber extra Geld dafür ausgeben möchte keiner", kritisiert Nielsen. Ein Jahr nach Fukushima zeigt sich: Die Ökoenergien müssen rascher marktfähig werden, also die Förderung muss langsam auslaufen, sonst machen die Bürger wegen zu hoher Belastungen beim Strompreis nicht mehr mit.

Planungs- und Umsetzungszeiten beim Bau neuer Leitungen von zehn bis 20 Jahren könne man sich jetzt nicht mehr erlauben, so Nielsen. "Wenn wir die Energiewende aus vollem Herzen wollen, müssen Bund, Länder, Kommunen und Bürger nun aufs Tempo drücken." Doch wie sollen Aluminiumhütten oder Stahlwerke jemals nur mit Ökostrom ihren Bedarf decken, wenn kein Wind weht oder die Sonne hinter Wolken hängt?

Sollen wir überschüssigen Strom tatsächlich in riesige Pumpspeicherkraftwerke nach Norwegen schicken, um ihn bei Flauten zurückzuholen? "Theoretisch gibt es dort das Potenzial", sagt Quaschning. Aber die Wetterentwicklungen zeigten, dass man eher kurzfristige Speicher bräuchte. Da wären zunächst mal Batterien, etwa auch von Elektroautos, oder riesige Batteriespeicher in alten Lagerhallen ein Ansatz.

Das klingt nicht gerade nach der Superlösung. Die große Lösung ist für ihn ein Wort, das die Ökobranche seit Monaten elektrisiert: Wind- oder Solargas. Überschüssiger Wind- oder Sonnenstrom wird mittels Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff und dann per Methanisierung in Methan verwandelt und im Gasnetz gespeichert, wo genug Platz ist. Bei Bedarf kann das Gas dann wiederum zur Energieversorgung genutzt werden.

Quaschning, der ganz passend ein grünes Hemd zum beige-grauen Jacket trägt, ist optimistisch. "Das Ganze ist machbar." Schon bis 2040 oder 2050 könne man 100 Prozent regenerative Energien haben. Und im grünen Wachstum lägen riesige Exportchancen, ist er sicher. Er hat gerade auch eine Einladung nach Washington bekommen, um Kongressabgeordneten den neuen "German Way" in Sachen grüner Energiepolitik zu erklären.

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