Der Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise Eng im Takt der Misere

BERLIN · Die Lage muss ernst sein: Die Kanzlerin beschwört den Schutz der Euro-Zone, Euro-Gruppenchef Juncker warnt vor dem Zerfall

 Krisentreffen auf Sylt: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (links) und der Finanzminister der USA, Timothy Geithner.

Krisentreffen auf Sylt: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (links) und der Finanzminister der USA, Timothy Geithner.

Foto: ap

Ein Begriff geht um. "Sofortiger Sofortismus". Jean-Claude Juncker hat ihn im Interview der "Süddeutschen Zeitung" erfunden und damit den immensen Zeitdruck beschrieben, unter dem die Hüter und Retter der europäischen Gemeinschaftswährung stehen. Der Chef der Euro-Gruppe und luxemburgische Ministerpräsident beschreibt damit ein Dilemma im Kampf gegen die Zockerei an den Finanzmärkten: "Man räumt uns ja nicht mehr das Recht ein, nachzudenken." Eine Stellungnahme jage die nächste, ein regelrechtes "Reaktionsfeuer"" treibe die politischen Akteure.

Sofortiger Sofortismus? US-Finanzminister Timothy Geithner landete gestern "kurzfristig" auf Sylt, Deutschlands teuerster Urlaubsinsel, auf der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) versucht, einige Tage Auszeit von der Euro-Rettung zu nehmen. Ein Besuch, angesetzt "auf Wunsch der amerikanischen Seite", wie es im Hause Schäuble heißt. Am Ende steht demonstrative Zuversicht über die "Reformanstrengungen" in der Euro-Zone. Was sonst?

So sei es Irland zuletzt wieder gelungen, längerfristige Anleihen zu platzieren. Portugal halte seine "Programmverpflichtungen" ein. Spanien und Italien strebten "weitreichende Fiskal- und Strukturreformen" an. "Alle erforderlichen Reformschritte" müssten im Kampf gegen die Krise umgesetzt werden. Äußerungen der EU-Entscheidungsträger nehmen Schäuble und Geithner "zur Kenntnis".

Es ist Sommer, wenn auch ein ausgefallener. Das Parlament macht Pause. Doch die Räder der stillen Euro-Krisendiplomatie drehen sich in einem irren Tempo. Erst berät Geithner auf Sylt mit Schäuble, dann fliegt er weiter nach Frankfurt am Main, wo er den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, trifft. Draghi wiederum hat in der vergangenen Woche aufhorchen lassen, als er sagte, die EZB werde innerhalb ihres Mandates "alles Erforderliche" tun, um den Euro zu retten.

Eine Aussage mit Nebenwirkung. Die EZB, der eigenen Unabhängigkeit verpflichtet, werde wohl stärker in den Kampf gegen die Schuldenkrise eingreifen, deuteten Finanzmarktbeobachter prompt Draghis Aussage. Eine Möglichkeit dabei: Der Euro-Rettungsfonds EFSF kauft privaten Banken spanische Staatsanleihen ab, um damit die Zinsen für das hoch verschuldete Spanien zu senken.

Schäuble hatte sich am Wochenende vernehmen lassen, an solchen Aufkaufplänen sei "nichts dran". Sein Ministerium verbreitete: "An erster Stelle stehen die Reformanstrengungen der Mitgliedsländer selbst."

Doch allein dies wird den Euro nicht stabilisieren. So telefonierte Bundeskanzlerin Angela Merkel erst mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande, einen Tag später mit Italiens Ministerpräsident Mario Monti. Zweimal hieß es danach, man werde "alles tun, um die Euro-Zone zu schützen".

Echter Urlaub sieht anders aus, auch für eine Kanzlerin und ihren derzeit wohl wichtigsten Minister. Die Lage muss ernst, vermutlich sogar dramatisch sein, wenn Termine für Krisentelefonate und persönliche Treffen "kurzfristig" derart eng getaktet werden. Hessens Europaminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) will da nicht mitgehen und fordert die Bundesregierung auf, eine Klage gegen die EZB vor dem Europäischen Gerichtshof zu prüfen.

"Es ist an der Zeit, den Werkzeugkoffer des Vertrages von Lissabon zu öffnen und zu schauen, wie man sicherstellt, dass die EZB dazu gebracht werden kann, sich originär um ihren Auftrag zu kümmern", sagte er der Zeitung "Die Welt."

Euro-Gruppenchef Juncker verlangt ein unmissverständliches Zeichen: "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen müssen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten", sagt Juncker der "Süddeutschen Zeitung". Dann reizt es Juncker noch zu einer Spitze gegen Deutschland, wenn auch in Frageform: "Wieso erlaubt sich Deutschland eigentlich den Luxus, andauernd Innenpolitik in Sachen Euro-Fragen zu machen? Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale?"

Der Luxemburger bezieht dies auf Deutungen aus Deutschland, wonach hierzulande schon erklärt werde, was in dem Bericht der Troika über Griechenland stehen werde, bevor diese ihn überhaupt vorgelegt habe. Anfang September soll der Report von Europäischer Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) über griechische Reform- und Sparanstrengungen vorliegen.

Die CSU, die bereits bei der Winterklausur ihrer Landesgruppe im Bundestag das Ausscheiden eines Staates aus der Euro-Zone "als letztes Mittel" ausdrücklich gebilligt hatte, ist jedenfalls sauer auf Juncker. Dieser hatte Forderungen nach einem Austritt Griechenlands explizit als "Geschwätz" bezeichnet. CSU-Chef Horst Seehofer hatte dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler zuvor "uneingeschränkt Recht" für dessen Aussage gegeben, ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone habe mittlerweile seinen Schrecken verloren.

Der frühere britische Premierminister Tony Blair schwört Europa darauf ein, "alle zu zwingen, die großen Entscheidungen zu treffen, und zwar gemeinsam". Via "Bild"-Zeitung lanciert Blair eine Idee, mit der er nicht zur Freundin Merkels werden kann: "Deutschland muss einer Form der Vergemeinschaftung von Schulden zustimmen (...) und gleichzeitig steuerliche Anreize in Aussicht stellen, die dann auch umgesetzt werden." Merkel lehnt dies rigoros ab.

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