Smarter Kurde Er hat keine Chance, aber er will sie nutzen
ISTANBUL · Der Kandidat Selahattin Demirtas könnte bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei am 10. August für eine Überraschung sorgen.
Ein Sieg bei der Wahl liegt zwar außerhalb der Reichweite des Chefs der Kurdenpartei HDP - Umfragen sehen ihn bei sechs bis acht Prozent.
Doch wenn Demirtas es schafft, über die kurdischen Wähler hinaus Anhänger für sich zu gewinnen, könnte er einen Erfolg des Favoriten Recep Tayyip Erdogan im ersten Wahlgang verhindern. Deshalb ist Demirtas weit mehr als nur eine Randfigur im Kampf um das höchste Staatsamt.
Der 41-jährige Demirtas ist bei weitem der jüngste der drei Präsidentschaftskandidaten. Erdogan ist mit seinen 60 Jahren fast zwei Jahrzehnte älter als der Kurdenkandidat, und der 70-jährige Ekmeleddin Ihsanoglu, der Kandidat der zwei großen Oppositionsparteien CHP und MHP, könnte glatt sein Vater sein. Erdogan liegt in den Umfragen bei rund 50 Prozent, Ihsanoglu bei etwa 40 Prozent.
Als führender Kurdenpolitiker ist Demirtas ein direkter Konkurrent für Erdogan im Osten und Südosten Anatoliens. Gleichzeitig ist er aber auch so etwas wie ein Partner des Premiers im Friedensprozess zwischen Türken und Kurden.
Wie viele Kurden betrachtet Demirtas den inhaftierten Chef der PKK-Kurdenrebellen, Abdullah Öcalan, als Autorität. Öcalan verhandelt mit Erdogans Regierung über eine dauerhafte Beilegung des Kurdenkonflikts.
Demirtas stammt aus dem nordostanatolischen Elazig und ist studierter Jurist. Seine Entscheidung, in die Politik zu gehen, fällte er als 18-jähriger, als er bei einer Trauerfeier für einen von den Sicherheitskräften ermordeten Kurdenpolitiker unter den Beschuss der Polizei geriet. "Das hat einen anderen Menschen aus mir gemacht", sagte Demirtas der Zeitung "Aksam".
Die entscheidende Marke für Demirtas liegt bei etwa zehn Prozent der Stimmen: Kann er diese Hürde überwinden, wird es für Erdogan schwierig, das erklärte Ziel von mindestens 50 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zu erreichen; Erdogan will einen Sieg im ersten Anlauf und nicht erst bei der Stichwahl am 24. August, weil er mit einer klaren Mehrheit im Rücken als Präsident das Land regieren will.
Kritiker sagen dem smarten und telegenen Demirtas nach, sein Hauptziel bestehe in einem politischen Deal mit Erdogan: Wenn eine Stichwahl nötig werden sollte, wolle sich Demirtas die Unterstützung kurdischer Wähler für Erdogan mit politischen Zugeständnissen in der Kurdenfrage abkaufen lassen. Demirtas weist dies zurück. "Der Wähler ist kein Schaf", sagte er kürzlich.
Ob Deal oder nicht: Demirtas könnte zur Schlüsselfigur bei der Präsidentenwahl werden. Der Kurdenkandidat habe das Potenzial, den Plan der Erdogan-Partei AKP für einen Sieg in der ersten Runde zu durchkreuzen, analysierte die Zeitung "Hürriyet". Der türkische Präsidentschaftswahlkampf wird trotz der eindeutigen Favoritenrolle von Erdogan spannender als erwartet.