Türkei Erdogan-Berater empfiehlt Abkehr von der EU

ISTANBUL · Die Türkei braucht Europa nicht mehr und sollte die Beziehungen zu den Europäern schleunigst beenden - mit diesem Vorschlag hat Yigit Bulut, ein enger Berater des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, gestern das EU-Streben seines Landes in Frage gestellt.

Das schwindende Interesse der Erdogan-Regierung an Europa ist schon länger feststellbar, doch betonte Ankara bisher stets, am EU-Beitrittsprozess werde festgehalten. Bulut plädiert nun aber dafür, die Taue zu kappen und sich ganz auf die USA zu konzentrieren.

Der ehemalige Journalist Bulut ist für seine stets mit viel Gel geglätteten Haare und seine exzentrischen Thesen bekannt. Im vergangenen Jahr behauptete er, ausländische Kräfte wollten Erdogan per Gedankenübertragung aus der Ferne töten. Jetzt habe Bulut "eine neue verrückte Analyse" vorgelegt, erklärte der niederländische Europapolitiker Joost Lagendijk zu den EU-Thesen des Beraters.

Doch auch wenn Bulut hin und wieder sehr merkwürdige Gedanken äußert, sagt seine Ernennung zum Wirtschaftsberater Erdogans und sein politisches Gewicht im engeren Kreis um den Premier einiges über den Kurs der Regierung aus. Erst kürzlich meldeten die Zeitungen, Erdogan habe sich in einer wichtigen finanzpolitischen Frage der Meinung von Bulut angeschlossen und die Ansichten des von Märkten und Investoren geschätzten Vizepremiers Ali Babacan zurückgewiesen.

Bulut verfügt also trotz seiner abenteuerlichen Thesen durchaus über Einfluss. In seiner Kolumne für die regierungsnahe Zeitung "Star" schrieb er gestern, die Türkei sei von Europa jahrelang gedemütigt und benutzt worden, habe Europa aber heute nicht mehr nötig. "Wir brauchen das nicht mehr."

Außerdem werde Europa nicht unter den globalen Machtzentren der Zukunft und daher auch nicht mehr besonders wichtig sein - die Türkei aber schon. Die USA werden laut Bulut in dieser neuen Weltordnung der "neue Westen" sein, während Europa unwichtig wird. So rät Bulut, das Verhältnis zu den USA zu vertiefen, die Beziehungen zu Europa aber "ohne weiteren Zeitverlust zu beenden".

Die Weltsicht des Erdogan-Beraters beruht auf der Annahme, dass die Türkei ein Aufsteiger ist, der sich von der Vormundschaft der Europäer befreit hat. Zusammen mit Russland und dem Nahen Osten werde die Türkei einen von drei global wichtigen Blöcken bilden, schrieb Bulut: Die beiden anderen Blöcke sind demnach die USA sowie eine aus China, Indien und dem Iran bestehende Gruppe. Insbesondere den Europäern wirft Bulut vor, den Aufstieg der Türkei verhindern zu wollen.

Buluts Ansichten beleuchten ein neues Machtbewusstsein sowie das distanzierte Verhältnis, das sich zwischen der Erdogan-Regierung und der EU entwickelt hat. Auch Außenminister Ahmet Davutoglu vertritt die These, dass die Türkei keine - passive - Brücke zwischen Ost und West mehr ist, wie es in Europa häufig heißt, sondern eine aktive Regionalmacht mit starker Wirtschaft und dem Mut zur Verfolgung eigener Interessen.

Und die kollidieren mit den Grundwerten der EU. So reagierte Brüssel gereizt auf die Niederschlagung der Gezi-Proteste im vergangenen Jahr, auf die Internetverbote und auf die Versuche der Erdogan-Regierung, ihre Kontrolle über die Justiz zu stärken. In den ohnehin schwierigen EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei geht nichts mehr voran.

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