Zweikampf in Ankara Erdogan und Gül Rivalen um die nächste Präsidentschaft

ISTANBUL · Drei Wochen nach seinem Sieg bei den türkischen Kommunalwahlen richtet Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Blick auf die Präsidentschaftswahl im August. Der 60-Jährige begann diese Woche mit internen Beratungen in seiner Regierungspartei AKP, um eine mögliche Kandidatur vorzubereiten.

Derzeit gibt es nur zwei Dinge, die Erdogans Wechsel in den Präsidentenpalast verhindern könnten: seine Sorge um einen Zerfall der AKP - und eine Bewerbung von Amtsinhaber Abdullah Gül um weitere fünf Jahre im Präsidentenpalast. Die unausgesprochene Rivalität zwischen Erdogan und Gül wird durch ein neues Geheimdienstgesetz angefacht.

Bei der Wahl am 10. August wird das Präsidentenamt aufgewertet: Zum ersten Mal wird das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt, und nicht mehr vom Parlament wie bisher. Die Direktwahl verleiht dem Präsidenten zwar nicht formell mehr Macht, aber doch ein stärkeres politisches Mandat. Erdogan und der drei Jahre ältere Gül, gemeinsame Mitbegründer der AKP, sind die beiden aussichtsreichsten Anwärter auf das Präsidentenamt, auch wenn sie ihre Absichten noch nicht öffentlich kundgetan haben.

Erdogan kündigte aber laut Presseberichten bei einem Treffen mit AKP-Politikern hinter verschlossenen Türen an, wenn er sich zu einer Kandidatur entschließe, werde er sich als Präsident nicht auf zeremonielle Aufgaben beschränken, sondern weiter die politische Richtlinienkompetenz für sich beanspruchen.

Gül verspürt keine Lust, unter Erdogan Ministerpräsident zu werden. Er sagte, ein Ringtausch wie zwischen Wladimir Putin und Dmitri Medwedew in Russland "passt nicht zur Türkei". Er selbst sehe keine größere Ehre als das Präsidentenamt und habe unter den derzeitigen Bedingungen keine "politischen Zukunftspläne". Dies kann als Absage an eine Rückkehr in die Tagespolitik verstanden werden - ein Nein zu einer erneuten Präsidentschaftskandidatur war die Bemerkung nicht.

Anders als Erdogan hat Gül den Ruf eines Versöhners, der auch Wähler von außerhalb der AKP-Anhängerschaft auf sich vereinigen könnte. Nun kommt eine neue Bewährungsprobe auf Gül zu. Mit den Stimmen der AKP verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetz, das Erdogans Geheimdienst MIT weitgehende Befugnisse bei der Überwachung von Bürgern gibt. Journalistenverbände und andere Kritiker sehen in dem Gesetz einen Angriff auf die Grundrechte.

Die Opposition warnt, die MIT werde zu einer Art Gestapo, und will die Reform vor dem Verfassungsgericht zu Fall bringen. Ein Veto Güls gegen das Gesetz würde ihm Sympathien von AKP-Gegnern einbringen - gleichzeitig aber neue Spannungen mit der Erdogan-Regierung schaffen.

Erdogan geht es nicht nur um Gül. In der AKP wird die Sorge laut, dass die Regierungspartei auseinanderbrechen könnte, wenn die Führungsfigur Erdogan nicht mehr da ist; bei einem Wechsel ins Präsidentenamt müsste Erdogan seine Parteimitgliedschaft aufgeben. Die Erinnerung an eine andere, einst sehr erfolgreiche konservative Regierungspartei wird wach: Für die "Mutterlandspartei" (ANAP), die in den 1980er und frühen 1990er Jahren regierte, begann der Niedergang, als sich Ministerpräsident und Parteichef Turgut Özal im Jahr 1989 zum Präsidenten wählen ließ. "Noch bin ich ja nicht weg", soll Erdogan den Abgeordneten gesagt haben.

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